Biotic Boot | Foto: Friedrich Gerlach
Habitat | Projektvorstellung
Ergebnisse der BioLab Residency 2023
Prof. Mareike Gast, Dr. Falko Matthes, Johann Bauerfeind, Hannah Kannenberg
Friedrich Gerlach, Marvin Kasper
Habitat | BioLab Residency 2023
Im Kosmos der Mikroorganismen haben viele ihrer Vertreter ganz erstaunliche Eigenschaften. Im Projekt Habitat konzentrieren wir uns auf ihre Fähigkeit zu wachsen. Wir wollen uns an diesem Prozess beteiligen, indem wir Form, Gestalt oder sogar Eigenschaften dieser kleinen Lebewesen beeinflussen.
Wir fragen uns: Wie können wir das Wachstum gestaltend nutzen? Wie können Menschen und Organismen zusammenwirken, um neuartige Prozesse, Produkte oder Dienstleistungen zu gestalten? Und welche Rolle spielt der Organismus im Gestaltungsprozess? Ist er ein Material, ein Gestalter oder etwas ganz anderes?
In dem Projekt haben wir die Zweidimensionalität der üblichen Petrischale verlassen und es uns zur Aufgabe gemacht, die Möglichkeiten des dreidimensionalen Wachstums anhand konkreter Anwendungskonzepte zu erforschen. Welche Organismen können kombiniert werden, um welche Eigenschaften zu erreichen? Welche Materialien können in die Habitate eingebracht werden, um von den Organismen eingebaut oder verarbeitet zu werden? In welchen Kontexten sind gewachsene Produkte wünschenswert?
gewachsener Biofilm auf einem 3D-gedrucktem Schuh-Modell | Foto: Martin Patze
In 30 Tagen gewachsener Biofilm | Foto: Friedrich Gerlach
Maschine zur Oberflächen-Kultivierung von Bakterienzellulose mit Zeitschaltung
Foto: Friedrich Gerlach
BIOTIC BOOT | Shoe grown from bacterial cellulose
von Friedrich Gerlach
Bakterienzellulose, entsteht durch Bakterien, die Zucker in Cellulose umwandeln. Diese Zucker können sie z.B. aus Abfällen der Lebensmittelproduktion gewinnen. Der Prozess findet an der Grenzfläche von Flüssigkeit zu Luft statt, wo sich umfangreiche Schichten bilden, die dann zu einem robustem Lederersatz weiterverarbeitet werden können. Solche Cellulose ist reiner und stabiler als Pflanzliche. Die Herausforderung in diesem Experiment besteht darin, einen Biofilm 3D wachsen zu lassen. Das ermöglicht, dass gedruckte Formteile umwachsen werden können, was die direkte Erstellung dreidimensionaler Produkte ermöglicht, ohne dass eine spätere Naht oder umfangreiche manuelle Nachbearbeitung erforderlich ist. Als exemplarisches Objekt, dient ein Schuh, oft Resultat von stundenlanger Handarbeit und damit ein ideales Testobjekt. Eine spezielle Maschine befeuchtet alle 20 Minuten steril die Oberfläche der Form, so dass die Bakterien dort ihren Biofilm auf einer 3D-Oberfläche bilden können.
Mit Myzel bewachsene Orthese | Foto: Marvin Kasper
Zunderschwamm-Ernte | Foto: Vera Bracklo
Mit dem Myzel des Zunderschwamm überwachsenes Textil | Foto: Marvin Kasper
Mit Myzel bewachsene Orthese | Foto: Marvin Kasper
ORTHESIS | About fungi, hemp and medical technology
von Marvin Kasper
Das Projekt About fungi, hemp and medical technology schlägt eine Brücke zwischen
demKosmos der Mikroorganismen und der Medizintechnik. Im Fokus meiner Arbeit stand
das Experimentieren mit umweltverträglichen Materialien im Anwendungsbereich
einer Orthese.
Der Pilz Fomes fomentarius, auch Zunderschwamm genannt, besitzt eine lange Geschichte in der medizinischen Anwendung, so wurde er aufgrund seiner heilenden Wirkung früher als Wundauflage verwendet. Die Synergie zwischen diesen Heilkräften des Zunderschwamms und seiner Fähigkeit zur Myzelbildung inspirierte meine Forschungsversuche.
Durch experimentelle Herangehensweise entstanden Materialproben aus
Myzelverbundstoffen, die Hanf und Alginat einschlossen. Ebenso erprobte ich andere
organische Substanzen wie Sägemehl, Treber, Heu und Teile des Zunderschwamm-Fruchtkörpers. Hierbei erwies sich Hanf als besonders vielversprechend. Als Bindemittel kam das Hydrogel Alginat zum Einsatz, welches sogar in pastöser Form 3D-gedruckt werden konnte. Auf ein Textil aufgetragen, bewirkte der mit Myzel durchzogene Verbundstoff eine partielle Versteifung, die die Stabilisierungswirkung einer Orthese nachbilden kann. Gegenwärtige Orthesen setzen sich aus schwer voneinander trennbaren Verbundmaterialien zusammen. Dieses Projekt zielt darauf ab, nachhaltige Lösungsansätze zu entwickeln, indem Myzelverbundstoffe verwendet werden und der Einsatz fossiler Materialien vermieden wird. Zusätzlich zeichnet sich die Kompostierbarkeit dieser Materialien als umweltfreundliche Option aus.
Schuhsohle aus durchwachsenen Hanf-Substrat und Enoki-Pilzfruchtkörpern
Foto: Martin Patze
Kultivierungsversuche von Pilz-Organismen auf verschiedenen Substraten
Foto: Hannah Kannenberg
Modell einer in Form gewachsenen Hacke aus einem Zunderschwamm-Fruchtkörper
Foto: Hannah Kannenberg
gewachsener, modularer zu einhundert Prozent biologisch abbaubarer Myzel-Substrat-Schuh | Foto: Martin Patze
RE/BOOT | Rethinking footwear through biofabrication
Hannah Kannenberg, Dr. Falko Matthes, Johann Bauerfeind
„Re/boot” denkt die Herstellung nachhaltiger Schuhe neu, indem der Einsatz von Myzel und Pilzfruchtkörpern in einem alltäglichen Produkt auf ungewohnte Weise neu interpretiert wird. Heutige Schuhe sind in der Regel überdesignte Materialhybride, die mit mehr als 16 verschiedenen, kaum trennbaren Materialien ein erhebliches Entsorgungs- und Umweltproblem darstellen. Durch Biofabrikation wollen wir das Design und die Produktion von Schuhen von Grund auf neu gestalten. Ziel ist es, einen kompletten Schuh dreidimensional wachsen zu lassen, der durch die ausschließliche Verwendung organischer, gering-prozessierter Materialien vollständig biologisch abbaubar bleibt.
Die Arbeit mit Pilzen eröffnet uns vielfältige Möglichkeiten, sowohl hinsichtlich der Materialauswahl als auch der Verarbeitungsprozesse. Durch gezielte Steuerung von Wachstumsparametern bringen wir diese facettenreichen Organismen dazu, nicht nur herkömmliche Materialien zu ergänzen oder zu verändern, sondern selbst zum Material zu werden. Als Substrate verwenden wir ausschließlich biogene Reststoffe aus regionalen Quellen. Auch das Design wird an die lokal verfügbaren Ressourcen angepasst. Beispielhaft entsteht ein Schuh als Produktkonzept, das einen nachhaltigen Umgang mit Materialien, ein ressourcenschonendes Herstellungsverfahren und ein biologisches Recycling als End-of-Life-Strategie kombiniert.