TELLERPOLITUR (Meissen)
– Geschirr in einer dematerialiserten Wirtschaft –
von Raymond Francis Sandy
Wie viel Porzellan werden wir in der Zukunft noch produzieren? Die Neuproduktion scheint heute schon überflüssig, wenn man die Massen an schon produzierten und funktionstüchtigen Porzellan mit in den Blick nimmt. Von welchem Geschirr essen wir in einer dematerialisierten Wirtschaft? Zudem verbraucht das Brennen von Porzellan Erdgas, auf das hinsichtlich der akuten politischen Lage und der immer spürbaren Erderwärmung soweit es geht zu verzichten ist. Die Staatliche Porzellan-Manufaktur Meissen wird als Teil unserer konzipierten Aktion "Metamorphose Meissen" ihr Kerngeschäft von der Herstellung von neuem Porzellan auf das Veredeln, Verzieren, Modernisieren von schon bestehenden Porzellan probehaft umstellen.
Wie geht ein staatliches Porzellanunternehmen, das für die Produktion von Porzellan von Erdgas abhängig ist, mit einer sich anbahnenden Erdgasknappheit um? Konkreter gefragt, wie geht ein Porzellanunternehmen, wie die staatliche Porzellan-Manufaktur Meissen mit der Möglichkeit um, für einen Zeitraum kein neues Porzellan mehr brennen zu können? Wie kann Meissen gleichzeitig ökologisch nachhaltiger werden?
Unsere Antwort auf diese Fragen ist die Aktion "Metamorphose Meissen“, in der die Porzellan-Manufaktur Meissen zunächst für zwei Monate auf die Produktion von Porzellan verzichtet. Gleichzeitig hinterfragt Meissen sein Geschäftskonzept, indem es, neben dem Verkauf von Lagerbeständen, den Service anbietet, schon bestehendes Porzellan, das Meissen Kund*innen bei sich Zuhause herumliegen haben, zu veredeln. Diesen Service habe ich Tellerpolitur genannt. Neben dem Veredelungsservice wird während der Aktion eine Photovoltaikanlage auf den Dächern der Manufaktur finanziert. Zudem wird ein Dinner-Event veranstaltet, dass die Gäste dazu anregen soll, sich mit verschiedenen Fragen über eine nachhaltigere Zukunft auseinander zu setzen. Der Veredelungsservice finanziert kurzfristig das Unternehmen während des Brennstopps. Auf einen längeren Zeitraum gerichtet öffnet es Meissen für andere Unternehmenskonzepte, um in der Zukunft breiter aufgestellt und um resilienter gegenüber Krisen und Veränderungen des Konsumverhaltens der Kund*innen zu sein. Das Interesse an bemalten, mit Blumen versehenem Geschirr ist in den meisten europäischen Ländern nicht so mehr so hoch wie es mal war. Der Geschmack der Bevölkerung hat sich verändert, das Sortiment Meissens hat sich daran aber nur bedingt angepasst. Der Veredelungsservice ermöglicht es, schon produziertes Porzellan mit kitschigen, für den Besitzenden unschönen oder aus der Mode gekommenen Motiven mit verschiedenen Veredelungsmethoden zu modernisieren und aktualisieren. Die Teller können klassisch bemalt werden, mit Schiebebildern versehen oder die Oberfläche mittels Schablone und Sandstrahler mattiert werden, damit werden die Veredelungsmethoden um eine neue erweitert. Mit dem Sandstrahlen kann zudem ein schon auf einem Teller befindliches Aufglasurmotiv entfernt werden. Das Veredelungkonzept ist zudem eine Antwort auf die Frage, inwiefern die energieintensive Herstellung von Porzellan oder im allgemeinen Keramik in der Zukunft noch mit Nachhaltigkeitsstandards wie zum Beispiel ein möglichst kleiner ökologischen Rucksack und Fußabdruck für den*die Konsument*in zu ermöglichen, vereinbar ist.