“o.T. (Saugglocke)”, 2020 | © Marie Neumann
Objekt/ Plastik/ Installation | Silikonschlauch, Gummipömpel, Gips, Maße variabel | Foto © Tim Nowitzki
Der Bauchnabel ist die einstige Verbindungsstelle zur Mutter durch die Nabelschnur. Als lebenserhaltende Versorgungsleitung dient sie dem Austausch von Nährstoffen, dem Blut- und dem Sauerstoffkreislauf. Nach der Geburt beginnt die vom Mutterkörper unabhängige Eigenversorgung des Säuglings. Zurück bleibt die zentrale Narbe, die als lebenslange Erinnerung diesen Zeitpunkt der Trennung am Körper markiert. Der Nabel ist mit der individuellen Qualität eines Fingerabdrucks vergleichbar.
Marie Neumann – Körperarchiv
Atelier 3 - Ausstellung / Klasse Prof. Stella Geppert / September 2020
“Peel-off 1-7”, 2020 | © Marie Neumann
Installation | Peel-off Masken, Röntgenbildbetrachter, 100x 63cm | Foto © Tim Nowitzki
Marie Neumann – Körperarchiv
Wie erinnern wir uns an einen Körper, seine Form, seinen Geruch, seine ertastbare Oberfläche, seine Präsenz im Raum?
Ich fragmentiere eine Erinnerung an meinen Körper, versuche ihn in eigens dafür konzipierten Systemen festzuhalten, indem ich mich an Katalogisierungsformen und Konservierungsmethoden orientiere. Organisches und Flüchtiges wird dabei in Anorganischem festgehalten. Zeitlichkeit und Vergänglichkeit werden zum Untersuchungsgegenstand. Indem ich medizinische Geräte und Materialien nutze, versetze ich die Installationen und Objekte in einen laborartigen, klinischen Kontext. Die Möglichkeit, dass sich der einst anwesende Körper anhand des Archivs rekonstruieren ließe, wird vorstellbar.
Die Vorgehensweisen, um meinen eigenen Körper oder vielmehr dessen Spuren zu konservieren, changieren zwischen medizinischem Sezieren, pseudowissenschaftlichem Datieren und rituellen Handlungsabfolgen. Mein Körper wird zum Material, das ich in Wach- und Schlafphasen abforme, abnehme, abziehe und fotografisch dokumentiere. Seine Form, seine Oberfläche und seine Koordinaten werden systematisiert und sein Anfangspunkt ermittelt.
“Muttermalsammlung”, 2020 | © Marie Neumann
Installation, 2-teilig | Farbfotografien auf Folie, Röntgenbildbetrachter, Lupe, Duschvorhang, Audio (2:30min, loop), Maße variabel | Foto © Tim Nowitzki
Jedes Muttermal am Körper steht für eine Koordinate. Nicht seine Form, Farbe oder Beschaffenheit wird vererbt, sondern seine Position am Körper, wie eine Matrize. Zusammen ergeben sie eine Zeichnung auf der Epidermis, die wie der Nabel und der Fingerabdruck einmalig sind. Diese individuellen Marker meines Körpers und die anderer Personen werden sowohl fotografisch als auch in Form einer Beschreibung der Beschaffenheit, Form und Position archiviert. Eine computergenerierte Stimme ertönt im Raum: "BK2R5_1 Außenseite des rechten Knies, vierteilig, eines davon dunkler, gruppiert, flach [...] AG6A6_02 Auf der rechten Seite der linken Brust, ca. 2 cm über der horizontalen Achse der Brustwarze, in der Vertikalen kurz neben dem Brustansatz neben dem Brustbein, rund, erhaben [...] LR4R5_7 Rechte Kniescheibe, oberhalb der Narbe aus dem Schwimmbad, klein, flach” (Ausschnitt des Audios)
“Enfleurage” und “o.T. (Fliesenspiegel)”, 2020 | © Marie Neumann, Raumansicht | Foto © Tim Nowitzki
“o.T. (Fliesenspiegel)”, 2020 | © Marie Neumann Installation, 68-teilig | Ton, Glasur, Maße variabel | Foto © Tim Nowitzki | Detailausschnitt Marie Neumann
Um meinen Körper abzuformen drücke ich ihn in Ton, wobei sich besonders die harten Teile wie Knochen, Knorpel und Nägel im Material abzeichnen. Der Abdruck ist die Spur und der Zeuge einer vergangenen Berührung. Er vereint Präsenz und Vergangenheit, Anwesenheit und Abwesenheit in sich. So kann das bereits Abgedrückte nicht mehr existent, jedoch im Material als Leerstelle konserviert worden sein. In ihm sehen wir die „sicht- und tastbare, erinnerte Gegenwart einer Vergangenheit […] die unablässig weiter arbeitet, das Substrat gestaltet, in dem sie ihre Spuren hinterlassen hat.“(Didi-Huberman, Georges: Ähnlichkeit und Berührung. Archäologie, Anachronismus und Modernität des Abdrucks, Köln, 1999, S. 7.) Die Präsenz des einst anwesenden Körpers, sein Volumen und das in Berührung Kommen zeigt sich im Material durch die sichtbare Verdrängung und Stauchung. Die Anbringung als Fliesenspiegel widerspricht ihrem berührungsreliquienhaften Dasein und verleiht ihnen eine vermeintliche Funktionalität.
“Peel-off 1-7”, 2020 | © Marie Neumann
Installation I Peel-off Masken, Röntgenbildbetrachter, 100x 63cm, Detail “Peel-off 7” | Foto © Laura Stach
Mit Hilfe von kosmetischen Peel-off-Masken, die den natürlichen Verfall der Haut verlangsamen sollen, ziehe ich das Negativ meiner Hautoberfläche ab, um die Struktur, die Fältchen und die Härchen sichtbar zu machen. Ich bedecke Teile meines Körpers mit den Masken, lasse sie bis zu 12 Stunden einwirken, damit sie möglichst viele Details meiner Körperoberfläche aufnehmen. Ich schlafe mit ihnen in ungewohnten Positionen. Wie eine zweite Haut kann ich sie schließlich von meinem Körper abschälen. Auf einem länglichen, am Boden liegenden Röntgenbildbetrachter erwecken sie Assoziationen zu Gebeinen von Grabstätten.
“Peel-off 1-7”, 2020 | © Marie Neumann
Installation I Peel-off Masken, Röntgenbildbetrachter, 100x 63cm | Foto © Tim Nowitzki
“o.T. (Altar)”, 2020 | © Marie Neumann
Installation | Trittleiter, Schwämme, Gips, Holz, Lack, Kugelkette, Klemmverschluss, OP-Leuchte, Maße variabel | Foto © Tim Nowitzki
In Anlehnung an provisorische Votivschreine in neapolitanischen Gassen wird ein Altar als Ritualstätte auf seine elementaren Bestandteile reduziert und abstrahiert. Rituale sind geregelte Kommunikationsabläufe, die soziale Interaktion und lebensgeschichtliche Übergänge erleichtern. Sie sind eng mit Grundfragen menschlicher Existenz verbunden. Während sie generations- und kulturübergreifend weitergegeben werden, erfahren sie immer wieder Bedeutungsverschiebungen und werden bis zur Sinnentleerung wiederholt. Häufig an einen rituellen Ort geknüpft, sind sie von Wiederholungen, bestimmten Körperhaltungen, -bewegungen oder Gesten geprägt. Auf einer Trittleiter liegen in Gips getränkte Schwämme mit Knieabdrücken. Darüber befindet sich ein weißlackierter Holzkasten, aus dem die Schlinge einer Kugelkette hängt. Wie bei der Handhabung einer Gebetskette kann an dieser gezogen werden, während sie sich gleichzeitig wieder aufrollt. Ein sich immer wiederholender Zyklus, der in dem klinischen Ausstellungsraum an ein zwanghaftes Waschungsritual denken lässt.
“Petrichor”, 2020 | © Marie Neumann
Installation/ Versuchsanordnung | Rohrkolbensamen, Aquarium, Erde, Acrylglas, Wärmelampe, Tropf, Wasser, Glas, Rohrkolben, Isopropenylalkohol, Maße variabel | Foto © Tim Nowitzki
Gerüche können Kommunikationsmittel sein, die beim Menschen jedoch meist unbewusst wirken. Befindet sich eine Person beispielsweise in einer angsteinflößenden Situation, wird der Geruch ihres Angstschweißes an dem jeweiligen Ort verströmt. Ist die Person dann nicht mehr anwesend, besetzt ihr Geruch weiterhin den Ort und fungiert dort als Warnsignal. In der Natur können Geruchsstoffe ganze Lebenskreisläufe mit ihren komplexen Mechanismen und Interaktionen zwischen verschiedenen Lebensformen regeln. In einer Installation rekonstruiere ich einen solchen Kreislauf am Beispiel des Geruchs “Petrichor”, der bei Sommerregen auftritt und auf Pflanzensamen und Menschen einwirkt. „Petrichor“ entwickelt sich durch ätherisches Öl, das Pflanzen bei Trockenheit absondern, um ihre Wurzeln zu schützen. Die starke Geruchsverbreitung führt dazu, dass sich die Keimung der Pflanzen verzögert. Menschliche Nasen reagieren besonders sensitiv auf „Petrichor“, da sein Aufbau dem von Pheromonen ähnelt. In der Installation tropft rhythmisch Wasser auf eine Erdfläche, welche durch eine darüber schwebende Wärmelampe erhitzt wird. Im daneben platzierten Aquarium liegen Rohrkolbensamen, die sich natürlicherweise durch Wind und Berührung verbreiten. Im geschützten Glaskasten vergrößert sich ihr Volumen, jedoch verlassen sie diesen nicht. Der Stillstand eines natürlichen Kreislaufs ist in Form eines Rohrkolbens in Isopropenylalkohol konserviert.
“Petrichor”, 2020 | © Marie Neumann
Installation/ Versuchsanordnung | Rohrkolbensamen, Aquarium, Erde, Acrylglas, Wärmelampe, Tropf, Wasser, Glas, Rohrkolben, Isopropenylalkohol | Detail „Petrichor“ | Foto © Tim Nowitzki
“Enfleurage”, 2020 | © Marie Neumann
Aktion | Vaseline, Brechschale, Handtuch, Metallwagen, Holz, Lack, Maße variabel | Detail “Enfleurage” | Foto © Tim Nowitzki
Gerüche sind flüchtig, immateriell und damit unsichtbar, werden demgegenüber aber dauerhaft in unser Gedächtnis eingeschrieben. So auch die Geruchsprofile von Menschen. Fett hat die Eigenschaft, Gerüche längerfristig zu binden und somit zeitweise zu konservieren. Der Versuch der Konservierung verändert, dominiert und ritualisiert meinen Alltag. Um den olfaktorischen Abdruck meines Körpers einzufangen, versuche ich seine Geruchsintensität zu verstärken. Ich wasche meinen Körper über einen Zeitraum von mehreren Wochen nur mechanisch mit klarem Wasser und versuche ihn von fremden und künstlichen Geruchsstoffen fernzuhalten, um schließlich mit der Technik der Enfleurage seinen Geruch in Fett zu konservieren. Ich trage eine dicke Schicht geruchloses Fett auf meinen Körper auf, wobei ich besonders die geruchsintensiven Stellen wie den Schambereich, die Achseln und den Haaransatz im Nacken damit bedecke. Nach einer mehrstündigen Einwirkzeit ziehe ich das Fett mit einem Spachtel ab, nehme den Rest mit einem Handtuch auf und bewahre es in einem luftdichten Behältnis auf. In der Ausstellung werden das Handtuch und das Fett offen ausgelegt, um so den Raum mit meinem Körpergeruch zu besetzen.
"Körperarchiv", Raumansicht, 2020 | © Marie Neumann | Foto © Tim Nowitzki
“Muttermalsammlung”, 2020 | © Marie Neumann
Installation, 2-teilig | Farbfotografien auf Folie, Röntgenbildbetrachter, Lupe, Duschvorhang, Audio (2:30min, loop), Maße variabel |
Raumansicht | Foto © Tim Nowitzki