o.T. (Linie), Luise von Rohden
Quer über den Platz ist eine Linie gezogen. Die weiße, etwa 10 cm breite Farbspur integriert sich in die Zeichensprache der Straßenmarkierungen und widersetzt sich dennoch deren Regeln. Die den Platz passierenden Menschen werden in ihren Bewegungen beeinflusst, gestört und gelenkt. Mit wiederholten Regengüssen verblasst die abwaschbare Farbe der Zeichnung. Die Präsenz der Linie auf dem Platz bleibt nur temporär.
... bis das Chamäleon sichtbar wird
»Cultural Hacking« / künstlerische Interventionen am Steintorareal
... bis das Chamäleon sichtbar wird / „Cultural Hacking“ am Steintorareal
Als temporäre Zwischennutzer des ehemaligen Asia Lebensmittelladens waren wir Teil eines sozialen räumlichen Gefüges verschiedener urbaner Verhaltensweisen, Gewohnheiten und Interessenslagen. Wir waren teilnehmende Beobachter, künstlerische Akteure und Kommunikationsjongleure zugleich.
Die Teilnahme an den bürgerbeteiligenden Diskussionen zu zukünftigen stadtplanerischen Vorhaben hat uns das Zusammenspiel städtischer Entwicklungs- und Entscheidungsprozesse aufgezeigt, einen umfassenden Einblick in die aktuelle »objektive« Nutzung und Planung des Platzes gegeben. In dem mehrdimensionalen Handlungsfeld wurden von uns konkret vor Ort Aktionsräume und Einschreibungen alltäglicher Handlungen erforscht. Mittels künstlerischer Interventionen haben wir uns soziale und kommunikative Räume öffentlichen Handelns und deren Grenzen am Steintor-Areal neu erschlossen –Raum produziert.
Hierbei gingen wir der Frage nach dem Widerständigen in der Kunstproduktion nach. Mittels der Methode des »Cultural Hackings« beschäftigten wir uns mit Orientierung und Desorientierung, dem Ineinandergreifen von Spiel und Ernst, der Zweckentfremdung und Umkodierung von Raumgefügen. Das »Einklinken« in Situationen und Geschehnisse hat Rollen »dialogischer Kunstformen« ausgelotet, ihre Potentiale extrahiert, sichtbar und merklich unsichtbar.
Die künstlerischen Interventionen gingen auf die stark vom Verkehr reglementierten Verhaltensweisen der Benutzer und Benutzerinnen ein. Sie arbeiteten mit erlebten Erfahrungen, vorgefundenen Materialien und spürten Zwischenräume kreativer Raumaneignung und Entstehung auf. Sie wurden an der Schwelle der Sichtbarkeit initiiert, ihre Autorschaft blieb meist verdeckt, alltägliche Begebenheiten gingen eine Symbiose mit künstlerischen Gesten und Handlungen ein. Sie ließen Kritik an der Behandlung von öffentlichen Räumen aufkeimen und spiegelten inszenatorische Qualitäten des Umfeldes wider.
Das Projekt wurde im Rahmen des Rundgangs der Kunsthochschule 2012 und zum Werkleitz Festival.move forward 2012gezeigt.
In Kooperation mit
Werkleitz, mit freundlicher Unterstützung des Steintor-Varietés, »kommunikatives Netzwerk Räume öffnen« und Radio Corax.
von ELISABETH DECKER, KRISTINA SINN, MARIE GRUNWALD, NORA LÄKAMP, CLARE MC CORMACK, JUAN LUIS ORTEGA, LUISE VON ROHDEN, GREGOR MÜLLER, DESIREE SANDER, FRANZISKA STÜBGEN, ELISABETH ZUNK, BENJAMIN SCHIEF und ANNE SCHNEIDER.
Auszeit, Benjamin Schief
Das Ladengeschäft am Steintor steht seit mehreren Jahren leer. Was einst als Auslagefläche eines Ladens diente, wurde zur kommerziellen Plakatwand umfunktioniert. Hinter der Werbefläche wurde eine »Blackbox« installiert, in der vier Strahler stehen. Über einen außen an der Ladenfront installierten Bewegungsmelder werden diese aktiviert. Passieren nachts Fußgänger das Schaufenster, wird dieses für fünf Sekunden von innen beleuchtet. Die zahlreich übereinander geklebten Plakatschichten werden vom Licht durchdrungen und ihre Überlagerung sichtbar. Werbung wird überblendet und verschwindet – es entsteht ein temporäres Bild, welches sich zwar der Ästhetik der Leuchtreklamen bedient, ihren Effekt aber umkehrt. Durch die Überblendung wird das Sichtbare unsichtbar und die Werbebotschaften verschwinden.
Teppiche, Elisabeth Decker
Über den ganzen Platz verstreut sind Kronkorken fest in den Boden getreten – teils bunt und neu, teils golden abgewetzt oder rostig. Viele Menschen trinken hier um den Brunnen am Steintor ihr Morgen- oder Feierabendbier – sie verweilen. Die Kronkorken sind die Relikte des Verweilens an diesem Ort – achtlos weggeworfen. Sind sie Müll und doch gleichzeitig Material für etwas Neues? Ich räume den Platz auf und ordne das hier Vorhandene um – füge kein Material, sondern nur eine Form hinzu.
Drei »Kronkorkenteppiche« sind vor drei Bänken entstanden. Sie markieren diesen Raum, der irgendwie zwischen Öffentlichem und Privatem schwankt und vom Verweilen und den Handlungen der Menschen erzählt.
Teppiche, Elisabeth Decker
SteintorGOLF, Gregor Müller
Das Steintor: Durchgangszone, Verkehrsknotenpunkt, Warteplatz
Meine Idee thematisiert die Umnutzung des Platzes durch die Integration des Golfspielens. Dafür habe ich den Platz selbst und die nähere Umgebung erkundet, auf der Suche nach Löchern und den richtigen Schauplätzen für ein Golfspiel in mehreren Etappen. Es soll den Besucher dazu anregen, den Platz mithilfe der Tätigkeit des Golfens zu erkunden und in anderer Form wahrzunehmen.
Was man vermisst, Clare McCormack
Die Notationen sind Stellen auf der Karte, an denen ich ein Gespräch mit einem Passanten führte. Es waren Wege, die Menschen nahmen. Menschen, die sich am Steintor aufhielten und mir erzählten, warum sie dort seien. Ich fragte sie unter anderem, was sie am Steintor vermissen würden, wenn es nicht mehr da wäre oder ob ihnen etwas fehlen würde.
Der gezeichnete Plan setzt sich aus Ihren Antworten zusammen, während nach und nach die topografischen Merkmale im Hintergrund verblassen.
SteintorPuzzle, Elisabeth Zunk
Spielerischen Umgang mit dem Raum finden. Ihn komprimieren, fassbar machen, ordnen, strukturieren, und einen eignen Blick sichtbar machen. Das SteintorPuzzle ist ein Versuch und ein Angebot, das Steintor zu verstehen. Die Farbigkeit regt zum Spielen an und ist gleichsam Ausdruck der vielen heterogenen Atmosphären am Steintor. Ein Spiel soll es bleiben – jedoch eins mit undefinierten Regeln. Die einzelnen Teile sind Baustein, Modell, Schatzkarte und Puzzleteil (…). Das Spiel bleibt offen. Es regt Kommunikation mit und über das Steintorareal an, auf ernsthaft spielerische Weise. Eingeladen wird zum gemeinsamen Spiel mit dem Steintor und zur gemeinschaftlichen Suche nach den sicheren Orten am Steintor, den Atmosphären und den Ruhepolen.
Sitzen: Marie Grunwald, Elisabeth Decker, Luise von Rohden
Zu einer verabredeten Zeit treffen wir uns im Steintorpark. Wir setzen uns auf verschiedene Bänke um den Brunnen und verweilen hier zweckfrei fünf Stunden. Zu dritt, im Dreieck sitzend überblicken wir den gesamten kreisförmigen Platz. Wir bilden eine Form, unser Sitzen wird statisch.
Durch das Zuschauen erfahren wir den Platz als Bühne. Erst die lange Dauer unseres Verweilens ermöglicht uns diese Wahrnehmung.
Sitzen: Marie Grunwald, Elisabeth Decker, Luise von Rohden
Mitfahrstelle, Franziska Stübgen
Das »Steintor« ist in erster Linie ein Transitort. Neben der Straßenbahn und dem Taxi gibt es hier eine dritte, nahezu informelle Art der Dienstleistung für Mobilität – die Mitfahrgelegenheit. Über das Internet verabreden sich zuvor fremde Menschen dazu, sich einen PKW zu teilen, um kostengünstig an einen anderen Ort zu gelangen.
In Halle (Saale) ist das Steintor der etablierte Treffpunkt für nahezu sämtliche Mitfahrgelegenheiten. Weder in stadtplanerischen Vorgängen noch durch straßenbauliche Beschilderung findet dieser Punkt bisher Beachtung.
Freibad, Franziska Stübgen
In der Stadtplanung scheinen ein fließender Verkehr und Warentausch die Prämissen für den öffentlichen Raum zu sein. Blumenrabatten und Springbrunnen dienen als imagepflegende Dekoration, die sogar gesetzlich geschützt ist: »Es ist verboten, Springbrunnen und Wasserspiele zum Baden oder Waschen zu benutzen oder zu verunreinigen.« (Gefahrenabwehrverordnung der Stadt Halle (Saale) § 6)
Junge Passanten und Passantinnen finden in der funktionalisierten Stadt Freiräume für Genuss und Muße, indem sie sich bewusst oder unbewusst über Konventionen hinwegsetzen. So wird beispielsweise der Springbrunnen am Steintor zum öffentlichen Freibad.
Setz’ einen Punkt. Mittelpunkterhebung am Steintorplatz
Elisabeth Zunk, Luise von Rohden, Kristina Sinn
Anlässlich der angedachten Umstrukturierung des Steintors sollte der Mittelpunkt des Platzes ausfindig gemacht werden.
Gibt es am Steintorplatz einen gedachten / gefühlten Mittelpunkt für diejenigen, die diesen Ort nutzen, befahren, begehen, überqueren? Ein Mittelpunkt ist subjektiv, ist emotional, ist rational, intuitiv: eine Meinung. Die Befragung richtete sich an die Nutzer und Nutzerinnen des Steintorplatzes, die ihn lebendig machen. Bleibt der Mittelpunkt der Einzelnen ungesehen oder lässt sich ein »Mittelpunkt« festlegen? Jede Antwort konnte vom Befragten mit einem leuchtorangenen Punkt sichtbar gemacht werden, der an die besagte Stelle auf dem Platz geklebt wurde. Um möglichst viele verschiedene Wahrnehmungen zu erfassen, wurden 1500 Punkte verteilt. Die vielen, subjektiv gesetzten Markierungen ergaben ein Bild, das Tendenzen sichtbar macht und jene Orte betont, die als zentral empfunden werden.
Setz’ einen Punkt. Mittelpunkterhebung am Steintorplatz
Elisabeth Zunk, Luise von Rohden, Kristina Sinn
Setz’ einen Punkt. Mittelpunkterhebung am Steintorplatz
Elisabeth Zunk, Luise von Rohden, Kristina Sinn
Setz’ einen Punkt. Mittelpunkterhebung am Steintorplatz
Elisabeth Zunk, Luise von Rohden, Kristina Sinn
Kompakt eingenistet, Nora Läkamp
Von meinem Fenster aus blicke ich auf eine lückenhafte Reihe von Sitzbänken am Steintor. Die einzelnen Bänke bestehen aus jeweils zwei Steinfüssen und vier Holzpaneelen als Sitzfläche. Eine Bank ist komplett erhalten, bei den anderen fehlen einzelne oder alle Paneele. Eine größere Lücke in der Reihe lässt darauf schließen, dass eine Bank komplett abgebaut wurde. Ich will die Lücke schließen, die Bänke wieder funktionsfähig machen. Mit den einfachsten Mitteln, mit dem Material, was mir zu Verfügung steht. Mein Mobiliar, Fundstücke, alles, was sich über die Zeit angesammelt hat, dient mir dabei als Baumaterial. Bücher, Kisten, Kleidungsstücke, alles, was sich stapeln, anhäufen und zusammenfügen lässt, nutze ich, um die Form der Bänke nachzuempfinden und neue Sitzflächen zu schaffen.
Assemblage-Zusammenfügung, Marie Grunwald
Eine Verbindung zwischen zwei Orten des öffentlichen Lebens schaffen: Dem Steintor und dem Rosa-Luxemburg- Platz (Schendelpark).
Beide Plätze, besonders der Pavillon am Steintor und der »Ausserhausverkauf « im Schendelpark, fungieren als Treffpunkt für die unterschiedlichsten Leute. Der Platz wird durch ihre Anwesenheit gestaltet. Dieser Kommunikationsfleck aber ist gefährdet, da diese Treffpunkte bei den vorgesehenen Umstrukturierungen nicht berücksichtigt werden. In Berlin wird der »Ausserhausverkauf« durch die bevorstehende Sanierung des Gebäudes verschwinden und in Halle wird der Pavillon in der weiterenPlanung des Platzes keine Rolle mehr spielen. Wie verändert sich ein Ort, wenn seine täglichen Nutzer verschwinden und an einem anderen auftauchen?
1 + 1 = 0, Juan Luis Ortega
Ein System: ein Ort in einem Ort, eine Postkarte in einer Postkarte, Herkunfts- und Bestimmungsorte eines Bildes und einer Wirklichkeit. Wo ist der Ort, wo ist die Postkarte, wo ist der Herkunfts- und Bestimmungsort, wo ist das Bild, wo ist die Wirklichkeit?
»Am Steintor 0« wird von mir als möglicher Ort festgelegt um diese Erfahrung zu ermöglichen und um diese Fragen von nicht definierter Wirklichkeit und definierter Fiktion beantworten zu können. Der neue kurzlebige Ort »Am Steintor 0« wird sich immer wieder neu erfinden.
Wildrasen, Elisabeth Zunk
Und auf einmal ist da was, was vorher nicht so war. Was genau anders ist, vermag man nicht zu sagen, doch spürt man den Unterschied. Kann das so sein? Wieso ist das so? Hatte da jemand seine Finger im Spiel oder ist das die Natur in ihrer Unberechenbarkeit?
»Irritationen erzeugen und das System hacken, ohne aufzufallen«. Die Natur selbst arbeiten lassen. Sie braucht Zeit, aber hackt den urbanen Raum kontinuierlich und unbewusst. Ich wollte dabei unterstützend wirken und sie dort befreien, wo versucht wird, sie in eine Form zu pressen.
Ein Wildrasen im Park, der sich nicht anpasst und doch nicht auffällt. Eine kleine Irritation in der Parkidylle.
Stadt(no)made, Desiree Sander
79 Stunden / Zwei Slips, ein Reifen, ein Magazin; Digicam, 12,48 €; ein Schirm; Mate in Flaschen / Keine Toilette und kein Wasser, trotz des Brunnens / Kann man hier leben? / Warum gerade hier? – Eine von vielen Fragen, die man sich stellt / Im Halbschatten mit Jägerzaun – Zuhause – Rückzugsort auf Zeit / Mein Ziel: Vertrauen lernen, Zeit haben, Ankommen / Etwas liegenlassen? Ein Stück mehr Freiheit in den Gedanken / Vorurteile? … nicht nur ich / Und sich trotzdem einlassen: Ein Versuch.
In Kooperation mit
Presse
hallespektrum.de/nachrichten/kultur/werkleitz-steintor-wird-zum-festival-ort/13352/