ANSICHTSSACHE

Beobachtung I Nachahmung I Täuschung
von Kristina Sinn

Buch „Ansichtssache“, 2012; 25 x 21,5 x 1,3cm; 60 Seiten, Ausschnitt S. 10/11

Buch „Ansichtssache“, 2012; 25 x 21,5 x 1,3cm; 60 Seiten, Ausschnitt S. 10/11

ANSICHTSSACHE
Beobachtung I Nachahmung I Täuschung

Der zu Fuß durchstreifte Stadtraum bildete für mich eine wichtige Arbeitsgrundlage. Dabei versuchte ich meinen Blick bewusst auf unscheinbare Situationen und Materialien zu lenken. ­­

Die verpackten und verhüllten Objekte, die mir auf diesen Spaziergängen begegneten, begannen mich zu faszinieren. Der Entzug der unmittelbaren Betrachtung und Berührung des darunter Liegenden machte mich neugierig.
Ich begann meinen Blick von allgemein verhüllten Objekten ausschließlich auf verhüllte Motorräder und Roller zu lenken. Ich fragte mich, ob sich nicht möglicherweise etwas völlig anderes als das naheliegende Fahrzeug darunter befinden könnte.
Von dieser These ausgehend, wirft das einzelne Objekt mehr Fragen auf, als es beantwortet. Die Formen, welche sich unter dem Stoff abzeichnen, sind mir unbekannt, ich kann sie lediglich erahnen. Je nach Art des möglicherweise darunter liegenden Körpers hat auch die Falte des Stoffes etwas auszudrücken. Das sichtbare Äußere kann ohne ein unsichtbares Inneres nicht existieren. Ich begann die verhüllten Motorräder und Roller fotografisch zu dokumentieren und die Fotografien typologisch nach Material, Form und Farbe zu ordnen. 

Doch könnte sich nicht möglicherweise etwas völlig anderes als das naheliegende Fahrzeug unter einer Hülle befinden?

Mit Hilfe von einigen Latten, Schaumstoff, Klebeband, Schrauben und einer Abdeckplane entwickelte ich eine Form, die schlussendlich verhüllt, vermuten lässt, ein Motorrad würde sich unter der Hülle befinden. Es ging mir um eine präzise Nachbildung der­jenigen Objekte, die ich im Außenraum vorgefunden hatte. Die typologisierte Fotoserie diente mir dabei als Forschungsgrundlage.
Es ging mir darum, unter Beibehaltung des Prinzips der Verhüllung, beim Betrachter Störungen durch visuelle Irritationen hervorzurufen. Die an das visuelle Erscheinungsbild eines Alltagsphänomens geknüpften Annahmen über die Funktion oder Bedeutung des Objektes sollten hinterfragt werden. Durch meine Ergebnisse stellte ich fest, dass allein schon eine Wahrnehmung, die lediglich den Verdacht erweckt eine Täuschung zu sein, vom Betrachter als irritierend erlebt wird.

Ich entschied mich für eine Beschäftigung mit diesen Objekten im Außenraum, welche bisher meiner  „normalen“ Alltagswahrnehmung entgangen sind.  Wir können vieles nicht wahrnehmen, weil wir uns entscheiden müssen. Dieses Phänomen wollte ich bewusst machen und Möglichkeiten zum Anderssehen eröffnen.

Kontext

Künstlerische Praxis - Diplom Kunstpädagogik
Klasse Prof. Stella Geppert