Yommana Klüber, Betontauben, 2014
Lyrische Ortsbegehung, 5 Min.
Auf dem Deck eines Parkhauses in Halle Neustadt, das von Hochhäusern vollkommen umschlossen ist, verbrachte ich einen Tag und sammelte meine Eindrücke des Ortes. Dabei entstand eine Konstruktion aus Gedanken und Assoziationen, die sich in einer Fantasievorstellung des Parkdecks als Ort der ursprünglichen Natur zuspitzte.
Bei der lyrischen Ortsbegehung ging ich rückwärts auf dem obersten Parkdeck, während die Zuhörer_innen mir als Gruppe langsam folgten.
Betontauben
An einem heißen Tag, ein Samstag, die Leute strömen zum See, die Hitze von ihren Körpern abstreifen. Parkdeck. Hier ist es warm, kühler Wind weht. Eine Ameise klettert meinen Oberschenkel hinauf, die Sonne wandert so schnell, dass sie mich plötzlich in die Mitte ihres Scheins manövriert hat. Ein Hund kläfft im Takt, er sitzt vor dem großen Haus, dieser kleine Hund, und wartet auf sein Frauchen oder Herrchen, das im Maßstab dieses Hauses kaum größer als der Hund selbst erscheinen wird. Dieses Orange der Häuserfassaden, wer hat sich dieses Orange ausgesucht. Es beißt sich mit dem vielen Rot-Gold-Schwarz in seinen Lücken.
Schatten in Parzelle 742, die Sonne verfolgt mich, ob auch die Tauben so unruhig sind, weil sie sich von der Sonne verfolgt fühlen. Selten, aber dann mit unsagbarer Anmut ziehen sie eine Schleife zwischen den Hochhäusern, um in das Ihre zurückzukehren.
Taubenhochhaus. Wie ich hier auf diesem Parkdeck sitze, das doch nicht für mich gemacht ist, nicht für irgendeinen Menschen, da fühle ich mich wie diese Tauben dort in dem algengrün verpackten Haus, als Spezies im falschen Terrain, und fühle mich, vielleicht wie sie, doch wohl in meiner Parzelle. Die Schuhe sorgsam nebeneinander aufgereiht vor der 742 und vielleicht machen es sich die Tauben auf ähnliche Art wohnlich in ihrem Algenhaus, wer weiß das schon. Und leben auch Schwalben dort, und wie sie sich wohl einrichten. Es gibt eine klare Abmachung zwischen den Tauben und den Schwalben, die Tauben in der Küche, die Schwalben im Bad, der Wasserkocher darf mitgenutzt werden, die Tauben dürfen sich abends im Bad die Zähne putzen. Vielleicht auch andersrum.
Kreidebuchstaben zu meinen Füßen, große, viele. Ich weigere mich, die Buchstaben von meinem Kopf zu einer geraden Logik zurechtbiegen zu lassen, sie sollen ihr Geheimnis nicht preisgeben.
Wohliger Wind, mindestens 30 Tauben auf einmal in einer perfekten Formation zwei Mal hintereinander eine Schlaufe fliegend, im See baden die Leute in ihrem eigenen Schweiß, vielleicht ist hier der richtige Ort für diesen heißen Tag. In 742 ist es windig, aber warm, wieso nicht hier bleiben, wieso eigentlich nicht, wenn es doch nicht mehr braucht als Tauben und Geheimnisse, Tauben, Schwalben und Geheimnisse und Wind und das ferne Klappern der Straßenbahn.
Die tropfende Tomate hinterlässt eine Ansammlung von Kernen in 742, sie haben ein schönes Orange, sie machen es mir wohnlich hier. Die Sonne hat alles eingeholt, mir alle Schattenplätze weggenommen, nur die Parzellen ganz in der Ecke lässt sie in Frieden, aber ich mag meine Parzelle dafür nicht verlassen. Eine Spinne klettert meinen Schenkel hinauf, woher all diese kleinen Lebewesen auf diesem Betonfeld, ein Hund bellt in der Ferne, ein monotoner Tonhöhenwechsel, der von den Häusern mit einem Schall versehen wird.
Ich habe seit einigen Stunden nur Beton und Tauben gesehen. Ich bin die einzige auf der Welt. Ich kneife die Augen zusammen und sehe die Algen, Massen von dunkelgrünen Algen, vom Dach-Sims langsam hinuntergleiten und sich auf der gesamten Gebäudeoberfläche verteilen.
Die Tomatenkerne lassen sich von der Sonne auf den Boden festtrocknen. Menschenleere. Nur tropfende Algen und trocknende Tomatenkerne, das wahre unzivilisierte Paradies, die wahre Natur, vielleicht, ja vielleicht bleibe ich für immer hier, ich werde hier sein in meiner Parzelle, die Tauben werden mir gute Nachbarinnen sein. Ich werde von Geheimnissen leben. Ich werde ein anderes Wesen sein.
Abbiegen in das Links von gestern
Anlässlich des Jubiläumsjahres von Halle-Neustadt rahmten die Themen Gehen und Imagination die Lehrveranstaltung „Form Follows Movement/ Körper- und Raumkonzepte“ von Stella Geppert.
Anne Nemack, Farbe, 2014
Bei einer Ortsbegehung wirkte die Tristesse der Betonbauten und der große Leerstand sehr eindringlich auf mich. Es schien, als würde das Leben diesen Ort allmählich verlassen. Ich dachte an einen Versuch der Wiederbelebung durch Farbe, so wie sie mich persönlich erhellt.
Ich betrachte mein Werk, es wirkt verloren, geht unter in einer Masse aus Beton; grau nimmt überhand. Und vielleicht erzeugt es doch ein kleinen Moment der Freude, wenn man es entdeckt?! Mit meiner Aktion stoße ich auch auf Widerstand, der mich berechtigter weise mit der Frage konfrontiert, wie subjektiv mein Empfinden ist. Gleichzeitig lässt sich die Assoziation mit einer Aussage aus der NS-Zeit kaum vermeiden. Damit wird meine Aussage zum Dogma, das dazu anregt die Antwort auf die Frage 'Rettet Farbe vor der Tristesse?' individuell zu erörtern.
Abbiegen in das Links von gestern[1] / Stella Geppert
Anlässlich des Jubiläumsjahres von Halle-Neustadt rahmten die Themen Gehen und Imagination die Lehrveranstaltung „Körper- und Raumkonzepte“[2], die ich im Sommersemester 2014 mit einem Teil von Studierenden meiner Klasse durchführte.
Gehen und Imaginieren sind vorerst einmal zwei gegensätzliche Tätigkeiten. Sie werden jeweils mit unterschiedlichen Raumatmosphären gedanklich verknüpft. Wenn wir uns selbst gehend vorstellen, denken wir räumlich anders als während des Imaginierens. Beide Tätigkeiten sind äußerst aktiv und setzen unterschiedliche Gestaltungsprozesse frei.
Gehen ist gerichtet. Da, wo unsere Beine sind, sind wir auch in der Regel vor Ort und durchdringen den konkreten Raum haftend mit den Füssen auf dem Boden. Parks, Einkaufzentren, Arkaden, Boulevards, Umgebungstrassen und Strandpromenaden sind Stätten unterschiedlicher Gangarten. Feine Beobachtungen und kinetische Empfindungsgaben zeigen uns die Verbindung von Beingesten und den gebauten urbanen Landschaften auf. Körperhaltungen werden durch architektonische Setzungen motiviert. Gehbewegungen, ob allein oder in der Menge, geben und gaben eine Anleitung zur aktiven Mitgestaltung von Urbanität. Vom Flaneur bis zum Situationisten sind Gangformen Lesarten von und Impulsgeber für Veränderungen und Gestaltung von Urbanen und sozialen Räumen.
Imaginieren ist meist eine stille Handlung. Sie kann zeit- und richtungslos und ortsungebunden sein. Die Imagination folgt, wenn sie frei ist, weder einer logischen noch einer klaren räumlichen Orientierung. Sie ermöglicht es uns, Gesellschaften und Lebensformen in ungewöhnlicher Qualität vor unserem inneren Auge auszumalen. Sie ist der Realität sehr fern und nah zu gleich. Beim Imaginieren werden Bilder gedanklich gefasst und können von ihren Kontexten gelöst verarbeitet werden.
Die Lehrveranstaltung führte ich in kurzen Einführungsworkshops zusammen mit Martin Nachbar (Tänzer und Choreograph) und Alfonso Rituerto (Zauberer) ein. Nachbar sensibilisierte die Studierenden durch Aufmerksamkeitsstudien für alltägliche Gangarten und deren Gestik im Raum. „Nach Elizabeth Grosz ist die erste Geste der Kunst eine architektonische: Durch die Errichtung eines (Fuß)Bodens werden z. B. bestimmte Eigenschaften der Erde wie Schwerkraft und Abstoßung hervorgehoben, die u. a. zum Auftauchen des Tanzes führen.“[3]
Alfonso Rituerto ließ unmögliche Welten in der Realität entstehen, um durch Aufdecken und Verhüllen die Kraft der magischen Atmosphäre entfalten zu können. Rituerto schreibt: „Die Magie liegt in einem Ort, in dem die Abwesenheit von Grenzen regiert. Sie stellt sich als unendlich dar. Die Unendlichkeit der Magie ist aber keine räumliche Unendlichkeit: Sie ist die Unendlichkeit als die Verweigerung des Begrenzten.“[4]
Student worksYommana Klüber führte eine lyrische Ortsbegehung in Betontauben durch, in dem sie rückwärts über das von allen Seiten einsehbare Parkdeck im Zentrum von Halle-Neustadt schritt. Ihr gesprochener Text beschreibt eine Phantasievorstellung vom Parkdeck als Ort der ursprünglichen Natur. Die Beiwohnenden der Performance kamen ihr langsam entgegen, während sie dem Raum zu entschwinden schien. Ihre Ansprache hallte bis in die oberen Stockwerke der umliegenden Hochhäuser.
Innerhalb des Parkhauses marschierte auch Sara Marienfeld während ihrer Aktion und stoppte kurz an den jeweiligen Parkplatzkojen. Dort sprach sie befehlstonartig die jeweilige Parkplatznummer aus. Als wolle sie das verschwundene „Autoregiment“ wachrufen, schallten die Zahlen in den auto- und menschenleeren Raum zurück. Die präzise Kameraeinstellung Parkhaus 104-747 zeigt ihre Person in den immer gleichen Etagen kleiner und größer werden.
In Hoffnungsträger projizieren Marie Neumann und Laura Stach auf die Fassade der mittleren Hochhausscheibe im werbeüblichen Großleinwandformat einen 30-minütigen Film über den Bau eines Kartenhauses, das immer wieder einzubrechen droht und als Sisyphosarbeit erscheint. Innerhalb der Projektion entsprechen sich die Spielkarten und die Plattengröße proportional und stellen auf eine humorvolle Weise die Analogie zu Aufbau und Zerfall her.
In der Arbeit Trampelpfade – Auf den Spuren Halle-Neustadts bestreute Kristina Kramer die von ihr entdeckten Schleichwege mit fremdartig wirkendem Pulver. Die intuitive „Gestaltung“ beschreibt sie wie folgt: „Das Geheimnisvolle der Trampelpfade liegt unter anderem darin, dass voneinander unabhängige BewohnerInnen zunächst individuelle, nicht vorgesehene Abkürzungen nehmen und so mit der Zeit durch kollektives Nachahmen Trampelpfade entstehen. Dem Zauberhaften liegt zugleich etwas Anonymes wie auch Vertrautes und Verbindendes zugrunde. Das farbige Pulver auf den Wegen macht eine einzelne Begehung sichtbar und erinnert daran, dass jeder Mensch eine Spur hinterlässt, die zunächst unsichtbar bleibt und nur mit der Zeit und der Vielzahl an Begehungen auf scheinbar magische Weise einen Trampelpfad entstehen lässt.“
Lea Bruns folgt einer Hausfassade und testet die Möglichkeit, diese körperlich zu begreifen. In Fassadenlauf oder 385 Meter unternimmt sie den Versuch, das längste Wohnhaus der DDR (‚Block 10‘) zu umfassen. Man sieht, wie sie ihren Körper an das für 2.500 Bewohner angelegte Gebäude anschmiegt. Konzeptionell als eine Umarmung angelegt, wird jedoch eine reptilienartige, körperuntypische Bewegungsformation sichtbar. Der Abrieb des Körpers ist an der überdimensionalen Masse hörbar. Das dabei erzeugte Geräusch steht im Kontrast zur privaten Geräuschkulisse der Wohnanlage.
Die Arbeit von Matthias Schützelt bezieht sich auch auf eine geschlossen angelegte Wohneinheit. Er implantiert eine in ihre Einzelteile zerstückelte Textpassage aus dem Buch Der geteilte Himmel von Christa Wolf in die inzwischen verwaisten Klingelschilder des vom Leerstand geprägten ehemaligen Block 167, Aufgang 2. Die Namen der Bewohner können als Teil dieser Prosa oder aber als Namen neu Hinzugezogener gelesen werden. Die zugleich poetische und minimalistische Arbeit eröffnet einen neuen Horizont des Möglichen zur Überwindung von Gegenwärtigem.
Mit einem anderen Verschlüsselungsprinzip agiert Sara Marienfeld entlang der Fußgängerpassage. In Geheimnisse setzt sie eigene Botschaften mittels einer von ihr erfundenen Geheimschrift den Blicken der Passanten aus. Die Schriftblöcke wirken wie ein Manifest oder ein Bekenntnis. Von allen Seiten einsehbar bleibt der Code jedoch verborgen und trotzt dem für Observation prädestinierten Stadtraum.
Eine weitere künstlerische Arbeit von Thomas Kirchner, Unten und Oben, reiht sich im Sinne einer Aufmerksamkeitsstudie in den Lebensalltag ein. Um den Anschein von Rechtmäßigkeit des Eindringens in ein fremdes Gebäude zu erzeugen, werden geladene Gäste des Spazierganges zwischen „unten auf der Straße“ und „oben auf dem Dach“ mit leuchtenden Warnwesten ausgestattet. Barrierefreies Gleiten zwischen privaten und öffentlichen Boden- und Luftraum relativiert die Dimension der Planstadt.
Das konkrete Agieren im Raum und die Vorstellung von Raum wechselten sich in der künstlerischen Auseinandersetzung ab. Das Spezifische von Halle-Neustadt wird an den Grenzen des Sichtbaren erlebbar gemacht. Über das Wechselspiel der „Vorstellung von“ und dem direkten „Vollzug in“ wird versucht, die Besonderheit der Stadt wie eine atmosphärisch aufgeladene Bestandsaufnahme zu fassen, so dass die Vorstellung von Halle-Neustadt eine Krümmung erfährt und das Morgen schon früher längs war.
Dieser Text ist erschienen in: „Wie wollen wir leben. 50 Jahre Halle-Neustadt“, Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle, 2014
Stella Geppert
Seit 2009 Professorin für künstlerische Praxis im Studiengang Kunsterziehung / Kunstpädagogik an der BURG.
Seminar: Form Follows Movement/ Körper- und Raumkonzepte
Teilnehmende: Lea Bruns, Maite Darroman, Tabea Herbst, Thomas Kirchner, Yomanna Klüber, Kristina Kramer, Sara Marienfeld, Anne Nemack, Marie Neumann, Matthias Schützelt, Laura Stach
[1] Der Titel zu dem Text ist im Rahmen der Klassenausstellung „per faltung ins gebiet“ von Studierenden der Klasse erfunden.
[2] „Körper- und Raumkonzepte“ bildet einen Bereich der künstlerischen Praxis, den ich in den kunstpädagogischen Studiengängen der Burg Giebichenstein entwickelte und unterrichte. Er führt die Studierenden an architektonische, soziale und kommunikative Felder des öffentlichen Raumes heran und erprobt künstlerisches Arbeiten durch performatives Handeln.
[3] Aus dem Konzept von Martin Nachbar, Email vom 6.9.2014
[4] Aus dem Logbuch von Alfonso Rituerto vom 15.9.2014
Lea Bruns, Fassadenlauf oder 385 Meter, 2014
Video 10: 11 min
Das längste Wohnhaus der DDR, der 'Block 10' in Halle Neustadt, angelegt für 2500 Bewohner_innen, wird in seinem Ausmaß, seinem gleichförmigen Aufbau und der Beschaffenheit der Fassade durch Körperkontakt und Umrundung begriffen und realisiert.
Der Körper passt sich - entlang der 385 Meter langen Fassade - den vorgegebenen Strukturen an. Die Bewegung wird durch die Architektur gelenkt.
Von außen als eine Umarmung wahrgenommen, oder als die organische Schlängel- und Kriech-Bewegung eines Insekts, entsteht im Erleben - durch den unmöglichen Versuch in die Fassade einzutauchen - eine fast schmerzhafte Nähe. Das dadurch erzeugte Geräusch, das Reiben der Textilien und des Körpers auf den Platten und den Metallverstrebungen, mischt sich - so wie der Körper selbst - unter das alltäglichen Treibens in einer Wohnanlage.
Thomas Kirchner, Unten und Oben, 2014
Maße variabel, Spaziergang
Ich habe zu einem Spaziergang eingeladen. Ein Gang dessen Aufmerksamkeit sich zunächst „nach unten“ auf die Asphalt, Schotter- und Grünflächen der nördlichen Neustadt richtete. Jeder Teilnehmende steckte dabei eine auf dem Boden gefundene Kleinigkeit in die Hosentasche.
Im Anschluss führte ich die Gruppe durch das Innere eines der zwölfgeschossigen Wohnhäuser der Lise-Meitner-Straße direkt auf dessen Dach. Die Blicke befreiten sich nun „nach oben“ und in die Ferne. Der Bezug zu den anderen Stadtteilen, sowie die angrenzende Weitläufigkeit des Heidewaldes wurde erfahrbar, die Dimension von Neustadt greifbar.
Nicht unbemerkt von den Nachbarn der umgebenden Wohnblöcke sorgte das Tragen von leuchtenden Warnwesten für den nötigen Anschein von Rechtmäßigkeit und dadurch für ein ungestörtes gemeinsames Erleben dieses Spazierganges.
Als Zeugen unseres verbotenen Besuchs hinterließen wir auf dem Dach die eben noch auf dem Boden liegenden Hinterlassenschaften der Anwohner.
Marie Neumann und Laura Stach, Hoffnungsträger, 2014
Montage auf Print, 100 x 120 cm
Das auf die Fassade der mittleren „Scheibe“ projizierte Kartenhaus greift den Modellcharakter der Planstadt auf, in deren Atmosphäre Aufbau und Verfall deutlich spürbar sind. Dabei wird die vollständige Errichtung des Kartenhauses nie ganz erreicht, wodurch der Betrachter einer Sisyphos-Arbeit beiwohnen muss. Das Kartenhaus nimmt die architektonischen Elemente des Gebäudes auf und belebt es mit neuen „Wohnungen“ wieder. Die Projektion kann zudem von vielen gänzlich verschiedenen Standpunkten der Neustadt und von Halle aus gesehen werden.
Kristina Kramer, Trampelpfade – Auf den Spuren Halle-Neustadts, 2014
Pulver (Maismehl, guardi Rubin Pigment, Glitzer)
Fotografie (20,5cm x 30,5cm)
Trampelpfade haben etwas Praktisches, aber auch etwas Geheimnisvolles. Als Besucher Halle-Neustadts kann man sich auf die Spuren der BewohnerInnen begeben. Es sind fremde und geheimnisvolle, aber auch vertraute Spuren. Man erschließt sich die Bewegungen der BewohnerInnen durch das Verfolgen ihrer Schleichwege. Mit dem Begehen der Trampelpfade trägt man selbst zur Verfestigung der Wege bei. Das Geheimnisvolle der Trampelpfade liegt unter anderem darin, dass voneinander unabhängige BewohnerInnen zunächst individuelle, nicht vorgesehene Abkürzungen nehmen und so mit der Zeit durch kollektives Nachahmen Trampelpfade entstehen. Dem Zauberhaften liegt zugleich etwas Anonymes, aber auch Vertrautes und Verbindendes zugrunde. Das farbige Pulver auf den Wegen macht eine einzelne Begehung sichtbar. Es bricht einerseits damit und erinnert andererseits daran, dass jeder Mensch eine Spur hinterlässt, die zunächst unsichtbar bleibt und nur mit der Zeit und der Vielzahl an Begehungen auf scheinbar magische Weise einen Trampelpfad entstehen lässt. Die Magie des Alltags wird in unausgesprochener Übereinkunft der Menschen sichtbar.
Sara Marienfeld, Parkhaus 104-747, 2014
Video, 18:27
Zwischen zwei riesigen und sehr kontrastreichen Hochhäusern in Halle Neustadt befindet sich ein Parkhaus. Es hat sieben Ebenen, die, je höher man hinaufsteigt, immer heller werden. Die Parkplätze sind streng durchnummeriert bis auf Ausnahmen in der ersten und letzten Etage.
Meine Arbeit besteht aus dem Ablaufen der Parkplätze im Parkhaus und dem lauten Sprechen der jeweiligen Nummern. Das Parkhaus war fast menschenleer und wenige Autos haben darin geparkt. Dieser Leerstand erzeugt eine Absurdität des Ortes.
Mir war eine präzise Kameraeinstellung wichtig, damit die Etagen fast austauschbar werden. Durch diese Einstellung werde ich beim Laufen kleiner und wieder größer, verschwinde und tauche wieder auf.
Sara Marienfeld, Parkhaus 104-747, 2014
Video, 18:27
Zwischen zwei riesigen und sehr kontrastreichen Hochhäusern in Halle Neustadt befindet sich ein Parkhaus. Es hat sieben Ebenen, die, je höher man hinaufsteigt, immer heller werden. Die Parkplätze sind streng durchnummeriert bis auf Ausnahmen in der ersten und letzten Etage.
Meine Arbeit besteht aus dem Ablaufen der Parkplätze im Parkhaus und dem lauten Sprechen der jeweiligen Nummern. Das Parkhaus war fast menschenleer und wenige Autos haben darin geparkt. Dieser Leerstand erzeugt eine Absurdität des Ortes.
Mir war eine präzise Kameraeinstellung wichtig, damit die Etagen fast austauschbar werden. Durch diese Einstellung werde ich beim Laufen kleiner und wieder größer, verschwinde und tauche wieder auf.
Sara Marienfeld, Geheimnisse, 2014
Kreide auf Straßenpflaster
Entlang der Fußgängerpassage in Halle Neustadt habe ich Geheimnisse in einer Geheimschrift, die immer dem gleichen Verschlüsselungsprinzip gefolgt ist, auf den Boden geschrieben.
Ich habe Orte gesucht, wo die Blicke von Passanten aus Routine hinfallen, z.B. auf Treppenstufen oder vor Geschäften. In einem weiteren Schritt habe ich ein Geheimnis auf das oberste Deck eines Parkhauses geschrieben, das von zwei Hochhäusern umgeben ist. Hier war das von oben Sehen, die Aufsicht, das Bühnenhafte wichtig.
Die vorbeigehenden Menschen haben oft mit Irritation und Neugierde reagiert. Ich wurde gefragt, was ich da schreibe und in welcher Sprache.
Lea Bruns, Fassadenlauf oder 385 Meter, 2014
Video 10: 11 min
Das längste Wohnhaus der DDR, der 'Block 10' in Halle Neustadt, angelegt für 2500 Bewohner_innen, wird in seinem Ausmaß, seinem gleichförmigen Aufbau und der Beschaffenheit der Fassade durch Körperkontakt und Umrundung begriffen und realisiert.
Der Körper passt sich - entlang der 385 Meter langen Fassade - den vorgegebenen Strukturen an. Die Bewegung wird durch die Architektur gelenkt.
Von außen als eine Umarmung wahrgenommen, oder als die organische Schlängel- und Kriech-Bewegung eines Insekts, entsteht im Erleben - durch den unmöglichen Versuch in die Fassade einzutauchen - eine fast schmerzhafte Nähe. Das dadurch erzeugte Geräusch, das Reiben der Textilien und des Körpers auf den Platten und den Metallverstrebungen, mischt sich - so wie der Körper selbst - unter das alltäglichen Treibens in einer Wohnanlage.
Marie Neumann und Laura Stach, Hoffnungsträger, 2014
Filmstill (30 min Video)
Das auf die Fassade der mittleren „Scheibe“ projizierte Kartenhaus greift den Modellcharakter der Planstadt auf, in deren Atmosphäre Aufbau und Verfall deutlich spürbar sind. Dabei wird die vollständige Errichtung des Kartenhauses nie ganz erreicht, wodurch der Betrachter einer Sisyphos-Arbeit beiwohnen muss. Das Kartenhaus nimmt die architektonischen Elemente des Gebäudes auf und belebt es mit neuen „Wohnungen“ wieder. Die Projektion kann zudem von vielen gänzlich verschiedenen Standpunkten der Neustadt und von Halle aus gesehen werden.
Kristina Kramer, Trampelpfade – Auf den Spuren Halle-Neustadts, 2014
Pulver (Maismehl, guardi Rubin Pigment, Glitzer)
Fotografie (20,5cm x 30,5cm)
Trampelpfade haben etwas Praktisches, aber auch etwas Geheimnisvolles. Als Besucher Halle-Neustadts kann man sich auf die Spuren der BewohnerInnen begeben. Es sind fremde und geheimnisvolle, aber auch vertraute Spuren. Man erschließt sich die Bewegungen der BewohnerInnen durch das Verfolgen ihrer Schleichwege. Mit dem Begehen der Trampelpfade trägt man selbst zur Verfestigung der Wege bei. Das Geheimnisvolle der Trampelpfade liegt unter anderem darin, dass voneinander unabhängige BewohnerInnen zunächst individuelle, nicht vorgesehene Abkürzungen nehmen und so mit der Zeit durch kollektives Nachahmen Trampelpfade entstehen. Dem Zauberhaften liegt zugleich etwas Anonymes, aber auch Vertrautes und Verbindendes zugrunde. Das farbige Pulver auf den Wegen macht eine einzelne Begehung sichtbar. Es bricht einerseits damit und erinnert andererseits daran, dass jeder Mensch eine Spur hinterlässt, die zunächst unsichtbar bleibt und nur mit der Zeit und der Vielzahl an Begehungen auf scheinbar magische Weise einen Trampelpfad entstehen lässt. Die Magie des Alltags wird in unausgesprochener Übereinkunft der Menschen sichtbar.
Sara Marienfeld, Geheimnisse, 2014
Kreide auf Straßenpflaster
Entlang der Fußgängerpassage in Halle Neustadt habe ich Geheimnisse in einer Geheimschrift, die immer dem gleichen Verschlüsselungsprinzip gefolgt ist, auf den Boden geschrieben.
Ich habe Orte gesucht, wo die Blicke von Passanten aus Routine hinfallen, z.B. auf Treppenstufen oder vor Geschäften. In einem weiteren Schritt habe ich ein Geheimnis auf das oberste Deck eines Parkhauses geschrieben, das von zwei Hochhäusern umgeben ist. Hier war das von oben Sehen, die Aufsicht, das Bühnenhafte wichtig.
Die vorbeigehenden Menschen haben oft mit Irritation und Neugierde reagiert. Ich wurde gefragt, was ich da schreibe und in welcher Sprache.
Thomas Kirchner, Unten und Oben, 2014
Maße variabel, Spaziergang
Ich habe zu einem Spaziergang eingeladen. Ein Gang dessen Aufmerksamkeit sich zunächst „nach unten“ auf die Asphalt, Schotter- und Grünflächen der nördlichen Neustadt richtete. Jeder Teilnehmende steckte dabei eine auf dem Boden gefundene Kleinigkeit in die Hosentasche.
Im Anschluss führte ich die Gruppe durch das Innere eines der zwölfgeschossigen Wohnhäuser der Lise-Meitner-Straße direkt auf dessen Dach. Die Blicke befreiten sich nun „nach oben“ und in die Ferne. Der Bezug zu den anderen Stadtteilen, sowie die angrenzende Weitläufigkeit des Heidewaldes wurde erfahrbar, die Dimension von Neustadt greifbar.
Nicht unbemerkt von den Nachbarn der umgebenden Wohnblöcke sorgte das Tragen von leuchtenden Warnwesten für den nötigen Anschein von Rechtmäßigkeit und dadurch für ein ungestörtes gemeinsames Erleben dieses Spazierganges.
Als Zeugen unseres verbotenen Besuchs hinterließen wir auf dem Dach die eben noch auf dem Boden liegenden Hinterlassenschaften der Anwohner.
Matthias Schützelt, 167/2, 2014
Ausdruck auf Alu-Dibond, Höhe 56 cm x Breite 67 cm
Verwaiste Klingelschilder spiegeln den Leerstand in den Wohnungen wider. Die entstandenen Lücken werden mit Prosa ergänzt.
Verlassen und Ankommen, die Schnittstelle zwischen innen und außen wird zum Ort der Arbeit.
Eine Passage aus »Der geteilte Himmel« von Christa Wolf nimmt den frei gewordenen Raum ein, für die Weggezogenen. Und ist gedacht für die, die noch geblieben sind im ehemaligen Block 167, Aufgang 2.
Anne Nemack, Farbe, 2014
Bei einer Ortsbegehung wirkte die Tristesse der Betonbauten und der große Leerstand sehr eindringlich auf mich. Es schien, als würde das Leben diesen Ort allmählich verlassen. Ich dachte an einen Versuch der Wiederbelebung durch Farbe, so wie sie mich persönlich erhellt.
Ich betrachte mein Werk, es wirkt verloren, geht unter in einer Masse aus Beton; grau nimmt überhand. Und vielleicht erzeugt es doch ein kleinen Moment der Freude, wenn man es entdeckt?! Mit meiner Aktion stoße ich auch auf Widerstand, der mich berechtigter weise mit der Frage konfrontiert, wie subjektiv mein Empfinden ist. Gleichzeitig lässt sich die Assoziation mit einer Aussage aus der NS-Zeit kaum vermeiden. Damit wird meine Aussage zum Dogma, das dazu anregt die Antwort auf die Frage 'Rettet Farbe vor der Tristesse?' individuell zu erörtern.