chronodrobe: autofictive archeology
Prof. Lars Paschke, Katharina Eichner, Isabel Fiedler, Heike Becker, Maren StemmlerEK-Pflicht, Komplexes Gestalten, Bachelor 4. Stj., Bachelor 3. Stj., Projekt, Wintersemester 2024, Normalwoche (1.-15.SW), Kursbeginn: 15.10.2024
Autofiktion, ein Begriff, der sich aus den griechischen Wörtern für "selbst" (autos) und "erschaffen" (fictio) zusammensetzt, wird in der Literaturtheorie seit den 1970er Jahren intensiv diskutiert. In diesem Genre überschneiden sich autobiografische und fiktive Elemente, wodurch eine narrative Unschärfe entsteht, die es den Autor*innen erlaubt, sich zwischen Realität und Erfindung zu bewegen. In der Mode, die traditionell als visuelle und materielle Ausdrucksform von Identität verstanden wird, bietet dieser Ansatz einen produktiven Zugang zur Erforschung der Frage, wie Mode nicht nur eine Repräsentation von Identität ist, sondern auch eine spekulative Praxis, durch die Identitäten konstruiert und transformiert werden können. Durch die Kombination von biografischen und erfundenen Elementen können Studierende in diesem Projekt ihre persönlichen Geschichten und Erfahrungen in Entwürfe einfließen lassen und zugleich eine fiktionalisierte Version hiervon erstellen.
In der zeitgenössischen Mode gibt es zahlreiche Beispiele von Designer*innen, die biografische Narrative in ihren Entwürfen verarbeiten.
Grace Wales Bonner, eine britische Designerin mit afrokaribischen Wurzeln, integriert in ihre Arbeit Themen wie Diaspora, race und kulturelle Identität. Ihre Kollektionen erkunden afrikanische und afrokaribische Geschichte sowie die Wechselwirkungen zwischen Blackness und europäischer Kultur.
Demna Gvasalia, Gründer von Vetements und Kreativdirektor bei Balenciaga, greift immer wieder auf seine persönlichen Erfahrungen als Kind in Georgien und seine Flucht nach Europa zurück. Diese Erfahrungen prägen seine Ästhetik des Unangepassten, das Spiel mit Oversize-Silhouetten und die Repräsentation von Kleidung als Ausdruck von sozialen und politischen Bedingungen.
Der amerikanische Künstler Nick Cave, vor allem bekannt für seine "Soundsuits", entwirft Werke, die seine Identität als Schwarzer Mann in den USA reflektieren. Seine Arbeiten verbinden Mode, Performance und Skulptur und untersuchen die soziale und politische Dimension von Kleidung als Ausdrucksmittel.
All diese Gestalter*innen zeigen, wie persönliche Geschichten, kulturelle Hintergründe und politische Kontexte zu einer neuen Form von Mode führen können, die weit über bloße Oberflächenästhetik hinausgeht. In ähnlicher Weise sollen die Studierenden im Rahmen dieses Projekts ihre eigenen Biografien zum Ausgangspunkt für ihre Entwürfe machen und daraus ein komplexes, vielschichtiges modisches Narrativ entwickeln.
Das Projekt beginnt mit einer intensiven Recherchephase, in der die Studierenden aufgefordert werden, ihre individuelle materielle und visuelle Historie zu untersuchen. Orte, Räume, Materialien, Muster, Textilien und Bekleidung, die ihre persönliche Geschichte prägen, werden analysiert. Dieser Prozess umfasst sowohl eine retrospektive Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit als auch eine spekulative Erweiterung dieser Vergangenheit. Die zentrale Frage dabei lautet: Wie konstituiert sich das materielle Selbstverständnis anhand dieser Fundstücke, und welche Geschichte lässt sich durch sie erzählen?
Die Exkursion zum Fundus von Theaterkunst Berlin, einem der größten Kostümarchive Europas, bietet den Studierenden die Möglichkeit, in historische Textilien und Kostüme einzutauchen und ihre eigenen narrativen Konstruktionen in einem dialogischen Verhältnis zur Vergangenheit zu entwickeln. Welche spezifischen Materialien, Stile oder Silhouetten werden in ihre eigene Arbeit aufgenommen, und wie lassen sich diese Elemente fiktional erweitern, um neue, spekulative Identitäten zu erschaffen?
Parallel zur Recherchephase wird ein Workshop zum kreativen Schreiben angeboten, der den Studierenden ermöglicht, ihre Materialsammlung in einen kurzen autofiktionalen Text zu überführen. Dieser Text dient als narrative Grundlage für die Konzeptbildung des Outfits und hilft, die erzählerische Dimension des Entwurfs zu schärfen. Welche Geschichte wird erzählt, mit welchem Anliegen und auf welche Weise werden biografische und erfundene Elemente miteinander verknüpft?
Zusätzlich bietet der Workshop zur Hutgestaltung unter der Leitung von Susanne Stein eine Möglichkeit, ein identitätsstiftendes Accessoire zu entwerfen, das die Silhouette und das visuelle Narrativ des Outfits vervollständigt. Hüte sind in der Modegeschichte oft Träger von symbolischen Bedeutungen. In diesem Workshop lernen die Studierenden, wie sie dieses Accessoire als Erweiterung ihres eigenen narrativen Konzepts einsetzen können.
Begleitend zur praktischen Arbeit bietet das Projekt eine theoretische Auseinandersetzung mit der politischen Dimension des Erzählens. Als Lektüre dient Ursula K. LeGuins Text The Carrier Bag Theory of Fiction, der die traditionelle Vorstellung von Geschichten als heroische Abenteuer hinterfragt und stattdessen das Erzählen als kollektiven, ökologischen und alltäglichen Prozess versteht. Diese Theorie bietet einen alternativen Rahmen, um darüber nachzudenken, wie individuelle und kollektive Geschichten unsere Wahrnehmung der Welt formen.
Ein Screening des Films Storytelling for Earthly Survival von Fabrizio Terranova, der sich mit dem Leben und Denken der Theoretikerin Donna Haraway auseinandersetzt, soll dazu dienen die Frage zu stellen, welche politischen Implikationen das Erzählen von Geschichten hat. Welche Erzählungen prägen unser Weltverständnis, und wie kann Mode als Medium genutzt werden, um diese Erzählungen zu hinterfragen und zu transformieren?
Dieses Projekt fordert die Studierenden heraus, ihre Biografien, ihre materiellen Welten und ihre Entwürfe in einem dynamischen und spekulativen Prozess miteinander zu verbinden. Durch die Kombination von autobiografischen und fiktiven Elementen erschaffen sie nicht nur ein Outfit, sondern erweitern auch ihr Verständnis von Identität, Materialität und Narrativ. Im Spannungsfeld zwischen Realität und Fiktion, zwischen persönlicher Geschichte und spekulativer Zukunft, wird Mode in diesem Projekt zu einem Mittel, um neue Perspektiven auf das Selbst und die Welt zu eröffnen.
Studiengang / -richtung
Mode
Abschluss und Studienjahr
Bachelor 4. Stj.
Bachelor 3. Stj.
Semester
Wintersemester 2024
Lehrende(r)
Prof. Lars Paschke
Katharina Eichner
Isabel Fiedler
Heike Becker
Maren Stemmler
Ort
Dachsaal R 208
Wochentyp
Normalwoche (1.-15.SW)
Veranstaltungsart
Projekt
Kursbeginn
15.10.2024
Zeiten und Termine
Dienstags 10:00 - ca. 17:30
Modulbezeichnung / Fachbezeichnung
Komplexes Gestalten
Modulbereich Design / Angebote Kunst
EK-Pflicht
Art der Prüfung
Projekt (P)
Benotung
benotet
ECTS/LN
20
Studiengang / -richtung
Mode
Abschluss und Studienjahr
Bachelor 4. Stj.
Bachelor 3. Stj.
Semester
Wintersemester 2024
Lehrende(r)
Prof. Lars Paschke
Katharina Eichner
Isabel Fiedler
Heike Becker
Maren Stemmler
Ort
Dachsaal R 208
Wochentyp
Normalwoche (1.-15.SW)
Veranstaltungsart
Projekt
Kursbeginn
15.10.2024
Zeiten und Termine
Dienstags 10:00 - ca. 17:30
Modulbezeichnung / Fachbezeichnung
Komplexes Gestalten
Modulbereich Design / Angebote Kunst
EK-Pflicht
Art der Prüfung
Projekt (P)
Benotung
benotet
ECTS/LN
20