Nachruf auf Michael Fischer
Wir trauern um Michael Fischer, der an der Burg vom 1. März 1985 bis zum 30. April 2020 im Lehrgebiet „Psychologie der Gestaltung“ lehrte und den Studiengang Designwissenschaften mitprägte.
Michael Fischer
… war einer unserer treuesten Unterstützer, Begleiter und Referent in der Studienrichtung Spiel- und Lerndesign. Er hat keine unserer Präsentationen verpasst und hat sich als Prüfer im Masterstudiengang Design of Playing and Learning mit konstruktiver und motivierender Kritik immer sehr engagiert eingebracht. Seine Vorlesungen zum Thema „Psychologie des Spiels und der Entwicklung“ und „Theorien des Spielen und Lernens“ waren für die Studierenden ein professioneller und wichtiger Bestandteil des Studiums. Wir werden ihn sehr vermissen!
Die Studierenden und Mitarbeiter*innen der Studienrichtung Spiel- und Lerndesign,
Prof. Karin Schmidt-Ruhland
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Mein Kollege Michael Fischer war über 30 Jahre wissenschaftlicher Mitarbeiter in den Designwissenschaften der Kunsthochschule Halle, die, als er seine Arbeit hier begann, Hochschule für industrielle Formgestaltung hieß. Die Neubenennungen als Hochschule für Kunst und Design (1989) und schließlich Kunsthochschule Halle (2010) waren symbolischer Ausdruck von Umbrüchen in der Hochschulgeschichte, die Michael als ihr angehörender Designwissenschaftler begleitet und mit gestaltet hat. 105 Jahre besteht die Burg in diesem Jahr. Ein Drittel (!) dieser Zeit war Michael aktiv daran beteiligt, ihr das besondere „Burg“-Gepräge zu geben.
Seine Arbeit als Psychologe im Lehrfach „Psychologie der Gestaltung“ war ein wichtiger Beitrag zur Herausbildung eines Kanons von Wissenschaftsbereichen, der die schnellen Veränderungen in den Designzusammenhängen in den letzten 30 Jahren begleitet und verständlich und handhabbar zu machen geholfen hat. Michael hat in Grundlagenvorlesungen und Beiträgen zu designwissenschaftlichen Kolloquia sein Konzept einer „Psychologie der Gestaltung“ ausformuliert. Vor allem aber konnte er in Seminaren und Übungen zur Psychologischen Spieltheorie, zu Kreativitätstechniken in der Gestaltung u.v.a. eine Lehre ausüben, die ein gutes Beispiel für „angewandtes“ wissenschaftliches Lehren an einer Gestaltungsschule ist. Diese Arbeit zeigte exemplarisch, was „das Praktische einer guten Theorie“ ausmacht. Sehr viele Studierende haben über die Jahre von seiner Kompetenz, aber auch von seiner freundlichen, empathischen, völlig un-autoritären Art des Lehrens und des Miteinanderredens profitiert.
Das wird bleiben und fortwirken. Und das ist mir als seinem langjährigen Kollegen, den sein früher Tod erschreckt und ratlos gemacht hat, ein kleiner Trost.
Es ist unfassbar traurig, dass Michael und seine Familie seinen dritten Lebensabschnitt als Ehemann, Vater und Großvater nun nicht mehr zusammen erleben können.
Und ich wäre ihm gern noch oft bei Konzerten in Leipzig, Halle, Rudolstadt und anderswo begegnet.
Michael Suckow
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Michael Fischer war für mehrere Jahre mein Kollege. Wirklich gut habe ich ihn allerdings nicht kennenlernen können. Dafür war er ein viel zu zurückhaltender Mensch. Wir hatten jede Menge gemeinsame Prüfungen, viele kurze Begegnungen auf dem Gang und manchmal einen Besuch von Büro zu Büro. Dort saß er. Oft, lange und gerne zwischen vollgestopften Bücherregalen und beeindruckend hoch geschichteten Papierstapeln auf dem Tisch. Ohne Deckenleuchte, nur bei einer alles in ein mildes Licht tauchenden Schreibtischlampenbeleuchtung. Und ziemlich laut lief Musik. Die liebte er sehr und wenn ich leicht verdattert fragte, was dies denn nun schon wieder sei, leuchtete es in seinem Gesicht und mit funkelnden Augen erzählte er mir von moldawischen Frauenchören und ungarischen Klarinettisten oder sonstigen, nie gehörten, fernen Formationen, deren Konzerte er demnächst besuchen würde. Ich hatte immer den Eindruck, dass er in diesen Momenten ganz bei sich und glücklich war. Lebendig. Gestikulierend. Begeisterungsfähig. Das war er. Mit seiner Begeisterung hat er mich immer wieder überrascht. Wenn er von seinen Reisen erzählte oder wenn er in einer Prüfung das Wort ergriff, lobte, die Verbindung zu seinem Fach, der Psychologie schlug, und dann auf einen Aspekt zu sprechen kam, an den ich nicht im Traum gedacht haben würde. Das waren typische Michael-Fischer-Augenblicke. Da leuchtete er in einer Art und Weise, die alles Leiden an Welt und Körper überstrahlte. So behalte ich ihn in Erinnerung.
Veronica Biermann
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Michael Fischer war ein leidenschaftlicher Lehrer, der es wie kein anderer verstand, seine Lerninhalte mit einer Fülle an praktischen Beispielen und Geschichten zu veranschaulichen. Nicht selten griff er diese direkt aus seinem Leben. Während er im Zentrum des Seminars energetisch vermittelte, Gespräche anzettelte und diese am Laufen hielt, verbreitete er um sich herum eben diese heiter gelöste Atmosphäre, die er uns in der Theorie als kreativitätsfördernd beschrieb. Wir kannten ihn als warmherzigen Menschen, der uns und der Welt mit großer Neugier und Offenheit begegnete. Die Welt könnte mehr Michael Fischers gebrauchen. Den einen, den wir hatten, vermissen wir sehr.
Die Studierenden und Lehrenden im Masterstudiengang Design Studies
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Micheal Fischer war als Lehrer für mich eine Erdung im Fachbereich Designwissenschaft an der Burg. Sein Ansatz, den Studierenden den praktischen Weg der Theorie zu zeigen, wird mich immer begleiten. Ich sage auf Wiedersehen und Vielen Dank.
Philipp WL. Günther, Alumni Designwissenschaft
Erinnerungen an Michael Fischer
Michael Fischer hatte ein Faible für Begriffsnetzwerke, Mindmaps. Wie würde der Kern so einer Karte meiner Erinnerungen an ihn aussehen? – Zentral fände sich: begeistert. Bald nachdem ich 1994 zur Psychologie der Gestaltung an der Burg gestoßen war, fiel mir auf, mit welcher Lust Michael Fischer, der dort in den Jahren zuvor schon mit von Partie war, Linien unseres Faches verfolgte, die er mit dessen Dienst am Design verband: die Entwicklungspsychologie und Theorien des Spiels, die er zunächst gemeinsam mit seinem Kollegen Trautvetter den angehenden Spielzeugdesignern nahe brachte; weiter die Kreativitätsforschung und das praktische Training kreativer Techniken (damals noch unter der Federführung von Dieter Schreiber, später zunehmend selbständig) und schließlich die tätigkeitstheoretische Perspektive der Psychologie, wie Klaus Holzkamp sie formuliert hatte, die Ausgangspunkt seines Dissertationsprojektes zur Grundlagen einer Designpsychologie war. Für Bücher beziehungsweise Thesen aus der Umwelt-, Kognitions- und Motivationspsychologie, bei denen er einen starken Anwendungsbezug für Designer sah, brannte Michael Fischer. Ein Konstrukt, das ihn besonders faszinierte – inzwischen ist das Etikett dafür in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen – sollte sich in der Begriffskarte meiner Erinnerungen an Michael Fischer nahe bei begeistert finden: im Flow. Beim argumentieren zu diesem Thema war er ganz bei sich und doch so egovergessen, wie es für diesen Zustand des Aufgehens im Tun typisch ist. Ganz bei sich auch deshalb, weil ihm die zugehörige Theorie einen Schlüssel gab für die eigenen Glücksmomente beim Unterrichten, beim Eintauchen in Musik und beim Erkunden von Kulturen. Die beiden Zentralbegriffe meiner Karte wären also nicht nur vernetzt mit Aspekten der Lehrtätigkeit. Musik (Klassik, Jazz, Weltmusik) und Reisen (bei denen es immer zumindest auch um Musik ging) sollten in dieses Netz eingebunden sein. Diese Leidenschaften jenseits des Hochschulalltags waren in dem gleichwohl höchst präsent – als Quellen eines Erfahrungsschatzes und auch emotional. Dazu gehörte ein nicht nur vorübergehendes Zurücktreten des Ego, wie man es beim akademischen Personal einer Hochschule selten findet. Und damit verbunden eine außergewöhnliche kollegiale Hilfsbereitschaft, die mir seit meinem Start in Halle im Nachwende-Spannungsfeld immer wieder zugutekam. Was in der Karte meiner Erinnerung nicht fehlen dürfte: Michael Fischer gab bei allem, was er dokumentierte, der Handschrift den Vorzug (anderen machte er dabei das Lesen durch Blockbuchstaben leicht). Und er schrieb, wenn immer möglich, nur mit dem Bleistift. (Nicht wenige solcher Notate waren mir sachlich wichtig genug, sie nach meinen Ausscheiden aus dem aktiven Dienst im Herbst 2018 weiter zu verwahren. Sollte jemand sie später einmal im Archiv der Hochschule ausgraben, dürfte ihr Charme – auch jenseits eines Netzes von Erinnerungen – nicht ohne Wirkung bleiben.)
Rainer Schönhammer
Erinnerungen an meinen Kollegen Dipl. Psych. Michael Fischer
Herrn Fischer traf ich zum ersten Mal, einen Tag vor meiner ersten Vorlesung an der Burg, am 11.10.2018. Vor diesem Treffen hatten wir jedoch schon ausführliche Gelegenheit, uns über unzählige Emails ein wenig kennenzulernen. Dieser digitale Erstkontakt war notwendig, weil es vor Beginn der Lehrveranstaltungen Vieles zu organisieren gab und außerdem brauchte ich scheinbar unendlich viele Nachhilfestunden, um die Lehrstruktur an der Burg zu verstehen. Wieder und wieder fragte ich also per Email Herrn Fischer, wie dies oder jenes an der Burg geregelt sei, was die Kompaktwochen eigentlich bedeuten usw. usw. Schon damals fiel mir auf, mit wieviel Geduld und Verständnis Herr Fischer meine beinahe kindlichen Nachfragen beantwortete. Mit keinem grammatikalischen Schlenker oder einer Antwortverzögerung signalisierte er, daß ihm diese Mentorenschaft lästig oder sonstwie übel wäre. Jede seiner Emails in dieser Vorbereitungsphase begann zudem mit der alten Anredeform „Werter Herr Grunwald“ was darauf schließen lies, daß Herr Fischer noch die schriftlichen Anredeformen beherrschte, die heute so ganz und gar aus der Mode gekommen sind. Erst viel später, als wir uns persönlich kennengelernt hatten und auf meinen Wunsch hin, milderte er die schriftliche Anredeform ab.
Bei unserem ersten Zusammentreffen an der Burg begegnete mir Herr Fischer mit einer natürlichen Offenheit und unverkrampften Korrektheit, die mir sehr angenehm war. Nicht nur weil er Berufskollege war, sondern auch wegen seiner ehrlichen Neugierde und Unvoreingenommenheit war mir Herr Fischer gleich sympathisch. Nichts in seinem Verhalten deutete auf Statusallüren oder sonstige Machtbedürfnisse hin, die ich als jüngerer Kollege ohne burgspezifische Vorerfahrungen zumindest ein wenig erwartet hatte. Stattdessen ein freundlich-neugieriger Mentor dem es am ersten Tag offenbar eine jungenhafte Freude war, mir die nahegelegene, aber etwas versteckte Cafeteria der Diakonie als würdige Alternative zum provisorischen Burg-Hof-Asia-Angebot vorzustellen. Diese kulinarische Einführung in potentielle Burgalternativen brachte Herr Fischer ebenso zurückhaltend hervor, wie dann auch später alle übrigen Vorschläge und Hinweise. Freundliche Zurückhaltung und hochgradige Sensitivität im gegenseitigen Umgang war der Markenkern seines Kommunikationsstils. Das habe ich nicht nur im Umgang mit ihm gespürt, sondern auch bei seinem Umgang mit Studierenden oder der Kollegenschaft. Diese Eigenschaft, gepaart mit wirklicher Begeisterungsfähigkeit und einer großen Freude an der ungewöhnlichen Assoziation habe ich besonders bei den Lehrveranstaltungen erlebt, die ich mit ihm gemeinsam durchführte. Jeden Donnerstag trafen wir uns zum Forschungskolloquium, daß für alle Studierenden die Möglichkeit bot, ihre aktuellen Arbeiten mit uns und in der Gruppe zu besprechen. Bei diesen Treffen fiel mir auf, daß Herr Fischer überhaupt keine Probleme damit hatte, wenn die Studierenden frei assoziierende, wenig fundierte Luftschlösser entwarfen oder überhaupt nicht wußten, wie sie an Ihr Stichwort nun faktisch herangehen sollten. Je planloser die studentischen Gegenüber, umso mehr war es ihm eine Freude und Aufgabe, mit fachlichen und sehr kreativen Hinweisen neue Impulse zu geben. In solchen Situationen präsentierte Herr Fischer nicht nur Ideen, die klug in Fragen verpackt waren, sondern auch Literaturhinweise. Bei diesen Gelegenheiten wurde offensichtlich, wieviel Erfahrungen Herr Fischer im Umgang mit den Studierenden der Burg besaß und welche Bandbreite sein theoretisches Wissen umfaßte. Es war für alle Beteiligten spürbar, daß ihm der direkte und der unmittelbare geistige Kontakt zu den Fachproblemen und Aufgabenstellungen der Studierenden wirklich Freude machte. Selbst völlig konfuse oder sprachlich kaum verständliche Äußerungen kommentierte Herr Fischer nicht von erhabener Höhe, sondern mit Engelsgeduld. Diese immer geduldige und wohlwollend zugeneigte Perspektive im Umgang mit den Studierenden hat mich an Herrn Fischer sehr beeindruckt und in kritischen Situationen habe ich ihn mir aktiv zum Vorbild genommen. Und selbst wenn es von studentischer Seite einmal völlig übertrieben und auch daß erträgliche Maß für Herrn Fischer überschritten wurde, folgten seine Ansagen und Entscheidungen in geordneter Würde und in einer Form, die das Gegenüber nicht verletzen konnte. Herr Fischer war sicher keines der typischen „Alphatiere“, aber es gab subtile Grenzen, die auf studentischer Seite auch nicht unkommentiert überschritten werden konnten. Dann folgte von Herrn Fischer ein kurzes aber immer noch im breiten Dialekt geformtes „nö“ mit hochgezogenen Augenbrauen und leichter Zurückneigung des Oberkörpers. Dieses Schauspiel habe ich allerdings selten erlebt.
Jede Gruppe von Menschen ab einer bestimmten Gruppengröße neigt dazu, Klatsch und Tratsch in gigantischem Ausmaß zu produzieren. Dieses Phänomen ist normal und paßt zu unserer Spezies. Einige haben an diesen Prozessen Freude, andere nicht. Herr Fischer gehörte nach meiner Wahrnehmung zu denjenigen, die überhaupt kein Interesse an derlei Informationen und deren Weitergabe hatte. Absolut loyal gegenüber der Burg waren offenbar für ihn die Zick-Zack-Phänomene einzelner Personen völlig gleichgültig. In den vier Semestern unserer Zusammenarbeit habe ich von ihm nie, nicht einmal andeutungsweise, einen unsachlichen Kommentar über irgendeinen Kollegen oder Kollegin der Burg gehört. Ich finde, diese Eigenschaft ist ausgesprochen angenehm und signalisierte mir die sachbezogene Grundposition von Herr Fischer in allen arbeitsbezogenen Belangen. Ebenso ein Markenzeichen unserer Kommunikation war es, daß mich Herr Fischer immer auf die Ausstellungen der Burg und auch von Leipzig aufmerksam machte. Mit Begeisterung pries er das zu Erwartende und verknüpfte seine Rede mit positiven Erfahrungen aus der Vergangenheit. Auch wenn er bei solchen kulturellen Lobgesängen keinen Druck ausübte, fühlte ich mich in solche Situationen immer ein wenig als ungehobelter Naturwissenschaftler, dem der kulturelle Feinschliff noch fehlt. Herr Fischer konnte mit wirklich beeindruckender Energie und Lebendigkeit von kulturellen Erlebnissen berichten, die er in Halle oder anderswo erlebt hatte. Absolut erstaunlich fand ich dabei die enorme Bandbreite seiner Interessen und seine Bereitschaft und Neugierde neuen Ansätzen gegenüber. Selbst wenn es verwirrend quietschte und nichts Symmetrisches in Aussicht war konnte er sich angeregt und kindlich-irritiert auf die abenteuerlichsten Installationen einlassen. Nicht selten kam mir meine analog-dreidimensionale Gebundenheit im Vergleich zu den kulturellen Aktivitäten von Herrn Fischer eher schlicht und beschränkt vor. Als er meine Dünnbeinigkeit in historischen Fragen der Designtheorie bemerkte, schenke er mir kurzerhand ein Reclam Büchlein mit den wichtigsten Texten zur Sache. Einfach so und ohne das es aufdringlich wirkte; ein typisches Fischer-Angebot mit der ihm eigenen Freundlichkeit.
Nicht nur in dieser Hinsicht erstaunte mich Herr Fischer, sondern auch in den Gesprächen, die wir ganz privat bei den Autofahrten von Halle nach Leipzig führten. Wenn es sich ergab und Herr Fischer noch einen kulturellen Abstecher nach Leipzig plante, fragte er mich, ob ich nicht lieber im Auto mitfahren wollte. Eine liebenswürdige Geste die ich gerne annahm. Bei diesen Gelegenheiten habe ich gelernt, daß Herr Fischer ein absolutes Faible für die arabische Kultur hat. Selbst im Autoradio dudelte immer leise arabische Musik. Auf diesen Autofahrten erfuhr ich von seinen zahlreichen Reisen in verschiedene arabische Länder, von denen er ausgiebig und mit ungebremster Begeisterung berichtete. Sein Wissen über diese Kulturen war dabei nicht nur von den Reiseeindrücken, sondern offenbar auch aus der Aneignung einer umfangreichen Literatur gespeist. Da wir im Kontext dieser Autofahrten immer wieder auf diesen Themenkomplex zu sprechen kamen hatte ich häufig den Eindruck, daß ich neben jemandem sitze, der allzu gern auf dem Rücken eines Kamels auf Entdeckertour durch die Wüste gehen würde. Sein Fernweh war sprachlich ein wenig versteckt, vielleicht aus Rücksicht auf den sozialen Kontext in dem er sich bewegte, aber die Neugierde war überdeutlich artikuliert.
Bevor sich Herr Fischer aufgrund gesundheitlicher Probleme mehr und mehr aus dem Lehrbetrieb der Burg zurücknehmen mußte, ist mir an ihm noch ein Charakterzug aufgefallen, den ich gern und explizit erinnern möchte. Vor und nach Lehrveranstaltungen, die wir allein oder zusammen durchführten, war die gesundheitliche Belastung für Herrn Fischer spürbar. Sprach ich ihn daraufhin an und bot ihm Schonung an, verwies er auf den drohenden Ausfall von Lehrstunden und auf die berechtigten Bedürfnisse der Studierenden. Er wußte und reflektierte hochgradig solidarisch und kollegial, daß mit seinem Ausfall die Lehrstunden durch die Kollegen irgendwie kompensiert werden müßten. Ein anderer Charakter hätte schon Wochen vorher die Segel gestrichen und hätte sich diesen Belastungen nicht mehr ausgesetzt. Herr Fischer ist buchstäblich bis zuletzt an Bord geblieben und war für uns ein Kollege auf den wir uns verlassen konnten. Für etwas verantwortlich zu sein hat für Herrn Fischer bedeutet, es auch dann zu sein, wenn es Überwindung und Mühe kostet. Die Segel an der Burg hat er definitiv erst dann gestrichen, als es gar nicht mehr ging. Diese stringente und engagierte Haltung von Herrn Fischer zur Lehrarbeit an der Burg erinnerte mich an Losung auf einem ostdeutschen Plakat; „Meine Hand für mein Produkt!“.
Nachdem uns Kollegen klar wurde, daß Herr Fischer als Lehrkraft nicht wieder an die Burg zurückkehren würde, wollten wir eine würdige Verabschiedung organisieren; ein Essen, Blumen und Dankesreden. Ein Termin hierfür stand bereits fest. Doch ein Virus hat diese notwendigen und kollegialen Gesten der Wertschätzung verhindert. Wenige Wochen nachdem sich Herr Fischer von uns per Email verabschiedet hat, ist er gestorben. Ich bin Herrn Fischer dankbar für seine kenntnisreiche und vor allem geduldige Unterstützung während meiner Zeit an der Burg. Ich werde ihn als einen Menschen erinnern, der mit Freundlichkeit, Neugierde und Nachsicht allem Unvollkommenen und Zögerlichen gegenüber begegnet ist.
Martin Grunwald
Oktober 2020