Matière
Living material as a sympoietic system
– Max Greiner & Caterina Plenzick –
Call #2: Embedd the Living
Welche Chancen eröffnen sich für den Gestaltungsprozess, wenn Mikroorganismen konstitutive Bestandteile von Materialien werden und diese dadurch die Fähigkeit besitzen, sich an unterschiedlichste Umweltsituationen anzupassen? Wenn man lebendige Materialien als Schnittstelle zwischen Mensch und Umwelt betrachtet, eröffnen sich neue Handlungsspielräume für die Gestaltung und gleichzeitig für die Entwicklung neuer Fertigungstechnologien. Die Eigenschaften, welche wir einem lebendigen Material zuschreiben, sind die eines komplexen und dynamischen Systems, resultierend aus der Wechselwirkung zwischen organischen und anorganischen Komponenten. In unseren Experimenten haben wir Biomaterial-Kombinationen erprobt, um Komposite zu entwickeln, welche aus eng miteinander verbundenen Schichten bestehen, die nach ihren funktionalen Rollen unterteilt sind. Zuvor beobachtete Phänomene der biochemischen Interaktion zwischen Organismus-Material-Umwelt, wurden gezielt reproduziert und adaptiert, um geplante formale Veränderungen zu erzeugen.
Bakterien verstoffwechseln die Nährstoffschicht und produzieren CO2, das bestimmte Bereiche aufbläht
Diese Material- und Geometriekombination bildet statische Eigenschaften aus, die sich vorhersehbar verhalten und es erlauben, ihre eigenständige Verformung zu planen
Bakterien ernähren sich vom Glycerin, was die Flexibilität verringert und zu einer teilweisen Verformung und Schrumpfung führt
Die Zwischenräume zwischen den Strukturschichten ermöglichen das Wachstum von Mikroorganismen, die sich durch die räumliche Verformung, die im Laufe der Zeit durch das Trocknen entsteht, bewegen können
Welche Chancen eröffnen sich für den Gestaltungsprozess, wenn Mikroorganismen konstitutive Bestandteile von Materialien werden und diese dadurch die Fähigkeit besitzen, sich an unterschiedlichste Umweltsituationen anzupassen?
Flechten sind eine hoch entwickelte Form der Symbiose zwischen Pilzen und photosynthese-fähigen Organismen. Pilze, welche selbst nicht zur Photosynthese befähigt sind, werden z.B von Algen mit organischen Stoffen versorgt. Der Pilz stützt und befestigt mit seinem Gewebe im Gegenzug die Algen und gibt damit der ganzen Flechte Halt auf ihrem Untergrund. Der strukturelle Aufbau dieser mutualistischen Beziehung zwischen mehreren Organismen könnte man als lebendes System bezeichnet, ein bildhaftes Beispiel, um unsere Interpretation dessen zu erklären, was ein lebendiges, adaptives Material ist.
Die Eigenschaften, welche wir einem lebendigen Material zuschreiben und Grundlage unserer Auffassung eines lebendigen Materialsystems, sind aus den Konzepten der Autopoiesis und der Sympoiesis abgeleitet. Autopoiesis beschreibt den Prozess der Selbsterschaffung und -erhaltung eines Systems. Angewendet auf unser Schichtsystem könnten wir von einem autopoietischen System sprechen, wenn alleine aus der Wechselwirkung zwischen den Schichten neues Material entsteht und erhalten bleibt. Eine Erweiterung der Autopoiesis, die das „miteinander“ unterstreicht und somit uns als Gestaltende mit in die Gleichung nimmt, ist der Begriff Sympoiesis. Er steht für komplexe, responsive und dynamische Systeme.
Übertragen auf unsere Experimente ist unser Ziel gewesen, Biomaterial-Kombinationen zu erforschen und Komposite zu entwickeln, welche aus eng miteinander verbundenen Schichten bestehen und aus der Interaktion zwischen organischen und anorganischen Komponenten resultieren. Um unsere Erkenntnisse zu verdeutlichen, haben wir einige Experimente weiterentwickelt und schließlich in physische Artefakte übersetzt, deren Entwicklung auf einer Unterteilung der verwendeten Komponenten, bzw. Materialschichten nach ihren funktionalen Rollen beruht. Angefangen mit einer Strukturschicht, die temporär oder permanent als Gerüst dienen kann, geht es weiter mit einem geeigneten Nährboden, bzw. Lebensraum, in dem Mikroorganismen wachsen können. Zuletzt kommt eine äußere, semipermeable Schicht, welche die physische Schnittstelle zur Umwelt darstellt und das System somit gleichzeitig offen und geschlossen hält.
Die Kernthemen unserer Arbeit kann man anhand eines Diagramms nachvollziehen, welches die drei Komplexe „Aktivitäten menschlichen Ursprungs“, „Mikroorganismen“ und „Materie“ miteinander in Verbindung setzt. Die Schnittstellen und deren zugeordnete Eigenschaften sind nicht als starr und festgeschrieben zu lesen, sondern verdeutlichen vielmehr die Bereiche, in denen die Komplexe ineinanderfließen und besondere Phänomene zu beobachten sind. Sie sind schwer unabhängig voneinander zu betrachten, da sie sich zwangsläufig auf mehreren Ebenen beeinflussen und gegenseitig stützen.
Wenn man lebendige Materialien als Schnittstelle zwischen Mensch und Umwelt betrachtet, eröffnen sich neue Handlungsspielräume für die Gestaltung und gleichzeitig für die Entwicklung neuer Fertigungstechnologien. Die Schnittstelle “Designed Behaviour” beschreibt die grundlegende Herangehensweise der Gestaltung mit lebendigen Materialien. Es umfasst die Möglichkeit, bestimmte Materialeigenschaften durch biochemische Prozesse bewusst zu erzielen.
Wie würde sich unsere materielle Kultur verändern, wenn wir Materialien, anders als bei industriellen Herstellungsverfahren, nicht nach ihren festgeschriebenen mechanischen Eigenschaften und Merkmalen auswählten, sondern nach ihren möglichen Verhaltensmustern, die aufgrund der Interaktion zwischen anorganischen Komponenten und organischen, mikrobiellen Aktivitäten auftreten? So haben wir in unseren Versuchen zum Beispiel das gezielte Erzeugen von aufgeblasenen Membranen oder geplante Materialverformung gezeigt.
Unter dem Punkt “Soft-Technology” untersuchen wir die Möglichkeiten formale Veränderungen zu erzeugen, gesteuert durch gezielte Kombination von Biomaterialien und den geometrischen Aufbau der jeweiligen Schichten. Zuvor beobachtete Prozesse der biochemischen Interaktion zwischen Organismus-Material-Umwelt, können gezielt reproduziert und adaptiert werden. In unseren Artefakten konzentrieren wir uns deshalb auf Anpassungsfähigkeit und Reaktivität.
Unter Co-Creation verstehen wir die generelle Einstellung gegenüber der Arbeit mit Organismen und was ein damit einhergehender Perspektivenwechsel für unsere Beziehung zu Materialität in der Gestaltung und im Allgemeinen bedeuten könnte.
Sobald wir Rohstoffe aus der Umwelt entfernen, um sie zu Materialien zu verarbeiten, verliert diese Materie die Fähigkeit, sich zu transformieren. Dies geschieht zu Gunsten unserer bisherigen Produktionssysteme. Wir brauchen passives Material, um vorhersehen zu können, wie es sich verhält. Es stellt ein Risiko dar, Freiraum für Unvorhersehbares einzuräumen. Empfindlichkeit bzw. Sensibilität sind in Bezug auf Materialien etwas negativ Behaftetes. Wir verstehen diese Sensitivität allerdings nicht als Schwäche, sondern sehen darin die sogar größte Stärke der living materials. Durch die Offenheit gegenüber Veränderung und der Bereitschaft unserer Seite, Kontrolle an andere organische Einflüsse abzugeben, öffnet sich ein unendliches Spektrum an neuen Perspektiven und Chancen. Schaffen wir es, Gestaltung mit einer anderen Einstellung für und mit dem System unserer Umwelt neu zu denken, indem wir uns als Teil und nicht als Zentrum unserer Umgebung sehen?
supported by:
BioLab: Johann Bauerfeind, Andreas Wagner, Fabian Hütter, Falko Matthes
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BioLab: Johann Bauerfeind, Andreas Wagner, Fabian Hütter, Falko Matthes